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Humor

Weihnachtsfeier 2007 der FeG Köln-Mülheim mit Pastor Jens Mankel



Mein Vater konnte keine Witze erzählen und machte das auch nicht. Aber seine Stärke bestand darin, allen Menschen um sich herum, egal wie alt sie waren, freundlich zugewandt und aufmerksam zu begegnen. Dabei erfasste er blitzschnell die Gefühle im Gegenüber und kommentierte sie treffend und humorvoll. Dadurch wurde die Atmosphäre sofort freier und entspannter. Und diese Art machte ihn so zu einem attraktiven Mann, dessen Nähe gerne gesucht wurde. Und manche Situationen blieben so den Beteiligten bis heute in Erinnerung.

Bei der Suche nach einem geeigneten Foto für diese Seite stellte sich heraus, dass es schwer war, ein Foto zu finden, das ihn lachend zeigt. Auf fast allen Fotos schaut er entweder ernst oder freundlich und wirkt von seinem Gesichtsausdruck nur dann etwas lockerer als auf den übrigen Fotos, wenn er mit seinen Enkeln, die noch im Säuglingsalter waren, fotografiert wurde. 

Ostern 1982 mit dem ersten Enkel Daniel Rose, dem er laut Untertext meiner Mutter im Fotoalbum gerade den Flohwalzer vorgespielt hat

Eigene frühe Erinnerung

1973 lebte ich noch bei meinen Eltern und befand mich im zweiten Ausbildungsjahr meines Medizinstudiums an der Universität von Köln. Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählte ich von einem besonderen Erleben an der Uni an diesem Tag. Ich nahm damals am anatomischen Präparierkurs teil. Beim Präparierkurs wird eine Leiche nach und nach so aufgeschnitten, dass die einzelnen Bestandteile sichtbar werden. Diesen Vorgang nennt man das Präparieren. Dabei verliert die Leiche immer mehr die Ähnlichkeit mit einem lebenden Menschen. Sie wird zum Präparat. An diesem Tag hatte es für mich einen Einschnitt gegeben. Wir hatten, nachdem der gesamte Körper freipräpariert worden war, als letzten Kursabschnitt den Schädel aufgesägt und hatten uns nun dem Gehirn zu widmen. Ich stand andächtig vor diesem Gehirn und machte mir klar, dass sich das ganze Erleben des Verstorbenen in diesem Organ abgespielt hatte. Als ich von diesem Gefühl der Ergriffenheit erzählte, reagierte mein Vater spontan. Er nahm seine gerade von ihm benutzte Gabel. Hielt ihre Zinken hoch dicht vor seine Augen und meinte: „Ach, guck mal da! Da liegt ein Witz!“ Mit dieser Bemerkung war er einerseits witzig und durchbrach andererseits damit meine Ergriffenheit. Zugleich  schob er mein Interesse für fantasierte Erinnerungen eines alten Mannes an die Seite, der vielleicht älter als er selber war und manches erlebt haben dürfte, woran er selber ungern dachte. 30 Jahre später hatte sich seine Haltung gegenüber den Erinnerungen an früher geändert, indem er sich an die lange Arbeit machte, seine eigenen Erinnerungen möglichst präzise aufzuschreiben und mit Hilfe von Fotos und Zeichnungen anschaulich zu machen.     

Erinnerungen aus jüngster Zeit 

Im Pflegeheim nahm mein Vater Gegenüber den Ewersbachern Bezug auf die Herkunft seiner Eltern aus dem Hessen- und Siegerland und bezeichnete sich ihnen gegenüber mit unverkennbar Kölner Sprachmelodie als „Spätheimkehrer“. 

Mir gegenüber meinte er mal lachend: „Da muss ich erst 90 Jahre alt werden, um den Salat wieder wie bei meiner Mutter essen zu können. Die machte ihn nämlich immer süß an, während die Mama (damit bezeichnete er unsere Mutter) ihn immer sauer zubereitete!“ 

Wir beide an seinem 93. Geburtstag (8.6.2019) in seinem Zimmer

Im Frühsommer 2019 erlitt er dann einen Schlaganfall. Durch diesen Schlaganfall war u.a. ein Kerngebiet eines Augenmuskelnerven geschädigt worden, das sich nicht mehr erholte. Folglich konnte er das eine Auge nicht mehr parallel zum andern bewegen und musste seither unter ständigen Doppelbildern leiden. Und er kommentierte dies auf seine unnachahmliche Art bei der Chefarztvisite im Kreisklinikum Siegen mit folgenden Worten: „Herr Chefarzt, Sie glauben ja gar nicht, was ich sehe! Ich wusste bislang nicht, dass Sie so viele eineiige Zwillinge unter Ihren Mitarbeitern haben. Und wie perfekt die ihre Bewegungen aufeinander dauerhaft abstimmen! Das ist wirklich beeindruckend!“ 

Wenn die Pflegekraft täglich zu ihm kam, um die Körpertemperatur zu messen, wurde dafür nicht wie früher ein Quecksilberthermometer benutzt, sondern ein elektronisches, berührungsloses Stirnthermometer. Das wurde ihm von vorne dicht vor den Kopf gehalten. Es ähnelte der Form nach einer Pistole. Er pflegte die Mitarbeiterin dann mit der Scherzfrage zu begrüssen: "Na, werde ich mal wieder erschossen?" 

Bei meinem letzten Besuch bei ihm kurz vorm vierten Advent klopfte es an der Tür. Eine Mitbewohnerin, die regelmäßig mit ihm beim Mittagessen saß, kam mit ihrem Rollator herein. Ein Weihnachtsbrief von Manfred Szymanski, einem alten Freundes meines Vaters – sie hatten einander auf den Familienfreizeiten in Lachen kennengelernt - sei aus Versehen bei ihr gelandet. Den wolle sie vorbeibringen. 


Mein Vater mit Manfred Szymanski im Sommer 1965 auf der Wippe vorm Konferenzhaus des Diakonissen-Mutterhauses in Lachen-Speyerdorf/Pfalz

Ich hatte besagten Freund auch noch in Erinnerung. Dieser hatte in den 60er Jahren  – ich war damals noch ein Jugendlicher - in der Nacht vor dem Geburtstag meiner Mutter am 23. Oktober bei meinen Eltern übernachtet und erfuhr erst morgens von der Besonderheit dieses Tages. Mangels eines Geschenks gratulierte er meiner Mutter mit Sprüche 26,14. Meine Mutter war neugierig und schaute sofort nach. Was las sie laut vor? „Ein Fauler wendet sich im Bett wie die Tür in der Angel.“ Wir fingen alle an zu lachen. Denn meiner Mutter konnte man etliche Schwächen vorhalten, aber nie Faulheit. Sie war immer in Aktion. Der Freund hatte die Angaben von Kapitel und Vers verwechselt. In Sprüche 14,26 steht nämlich: „Wer den HERRN fürchtet, hat eine sichere Festung, und auch seine Kinder werden beschirmt.“.  Also erzählte ich diese Begebenheit, worüber wir nun zu dritt lachten. Somit wurde der von meinem Vater beklagte Zwang, wegen Corona nun wie ein Einzelgänger leben zu müssen, etwas gemildert.


Auszüge aus bisherigen Kommentaren


Am 12.1.2021 erinnerte Erika Scheffels an gemeinsamen Urlaub ihrer Familie und unserer Familie im Diakonissenhaus Lachen bei Speyer: „Ich mochte Euren Vater sehr gern, er war in meiner Erinnerung immer fröhlich, lustig und lachte gerne. Gerade auch für Kinder ist so ein Gemüt toll! … Heinz hat für mich bis zum Schluss, sein Interesse an den andern, an der Welt, an der Zukunft – gerade auch die himmlische – nie verloren.“  

Meine Eltern 1965 auf der Schaukel schräg vor der obigen Wippe



Mein Vater von hinten beim Sackhüpfen im Sommer 1965 auf der Familienfreizeit. Ich stehe links und schaue meinem Vater zu.



Meine Mutter beim selben Wettkampf. Ich stehe rechts und beobachte meine Mutter meine Mutter mit dem Fernglas. Im Hintergrund eine der Diakonissen, die die Familienfreizeit leiteten.

Am 12.1.2021 schrieb Sabine Rayzik über ihre regelmäßigen Begegnungen mit meinem Vater, wenn er zum Jahresabschluss ins WEC-Missionshaus kam: „Das waren schöne Zeiten. Auch wenn wir meist konzentriert arbeiteten, habe ich doch in den Pausen seinen Humor und seine Lebensweisheit sehr genossen.“   

Am 15.1.2021 berichtete Ilse-Marie Neuroth über die Art, wie mein Vater im Rahmen seiner Besuche bei der Finanzabteilung im WEC-Missionshaus Andachten hielt: So etwas kann man nicht nachmachen, nicht einmal aufschreiben, denn der Zungenschlag, die Verbindung von Ernst und Tiefe mit Humor und Lebenszugewandtheit und die Glaubensausstrahlung waren einmalig. … Auch die Telefonate der letzten Jahre waren immer irgendwie „gewürzt“ mit einem charakteristischen Satz, einer besonderen Ausdrucksweise oder einem humorvollen Augenzwinkern.“

Am 16.1.2021 schrieb Willi Ferderer über meine Eltern: „Ihr Humor und echte Solidarität mit den Mitarbeitern des WEC war groß.“ 

Am 16.1.2021 schrieben Dorothee und Willi Haseloh: „Nichts hatte im Dezember darauf hingedeutet, dass ein endgültiger Abschied aus dieser Zeit und Welt nahe bevorstand. Wir hatten noch miteinander gelacht und auch noch Scherze gemacht.“ 

Am 16.1.2021 erinnerte seine frühere Arbeitskollegin Margret Holzapfel an ihn. Sie hatten 10 Jahre zusammen bei der Firma Koch gearbeitet. Und zu ihr hatte er nach seinem Ausscheiden dort weiterhin Kontakt gehalten. Über diese Telefonate meinte sie: Sie hätten stets viel zu lachen gehabt, wenn sie miteinander gesprochen hätten. Aus der gemeinsamen Zeit in der Buchhaltung erinnerte sie noch folgende zwei Szenen, von denen er bei der Arbeit erzählt hätte: So hätte er von einem seiner Söhne berichtet – also von Michael oder mir -, dass dieser der Schwester Ursula Haare ausgerissen hätte, um sie ihr anschließend an anderer Stelle wieder anzukleben, um aus ihr einen Bären zu machen. Ich kann mich selber nicht daran erinnern, aber das muss ja nichts heißen. Ein anderes Mal erzählte er davon, dass das Aquarium daran hätte glauben müssen, weil eines der Kinder bei den Fischen mit einem Suppenlöffel nach einer Schnecke gesucht hätte. Auf die Frage „Was suchst du?“ sei nur die Antwort gekommen: „Die Schnecke ist weg!“ Ich kann mich an ein kleines Aquarium nur in der Wohnung in der Zülpicher Straße erinnern. Also muss sich diese Suche nach der verschwundenen Schnecke vor 1961, als wir von dort in die Wichheimer Straße umzogen, abgespielt haben. Da waren wir Kinder 8, 7 und 5 Jahre alt. Auch daran habe ich keine Erinnerung. 

Am 19.1.2021 spendeten Uschi und Wolfgang Haas Trost mit den Worten: „Das Schönste, was ein Mensch hinterlassen kann, ist ein Lächeln im Gesicht derjenigen, die an ihn denken.“

Am 20.1.2021 schrieben Kati, Gunter und Elisabeth Tautenhahn: „Ihr Vater hatte eine sehr ruhige, glaubensvolle und humorvolle Art im Umgang mit Menschen.“ 

Am 31.1.2021 schrieben Renate und Dieter Kuhl über meine Eltern: „Uns gefiel ihr rheinischer Dialekt und ihr köstlicher Humor.“ 

Am 23.2.2021 schrieb das aktuelle Mitarbeiterteam im WEC-Missionshaus über ihn: „Seine Anteilnahme an uns, sein Einsatz, seine Gebetshaltung, seine geistliche Fundiertheit, verbunden mit unnachahmlichem Humor bleiben all denen in Erinnerung, die ihn gekannt haben.“ 

Traugott und Hanni Böker, WEC-Missionare in Indonesien, erinnerten am 28.3.2021:
Eine lustige Begebenheit mit meinem Vater sei bei ihnen zu einer stehenden Redensart geworden. Am alten, grossen Tisch auf der Diele des Missionshauses hätte er ihnen erzählt, wie einmal einem seiner Enkel beim Essen zugesehen hätte. Und als es einfach nicht mehr vorwärts gegangen sei, hätte er im anteilnehmenden Ton zu diesem gemeint: “Du hast ja noch immer etwas auf dem Teller!“ Woraufhin der Kleine zu ihm gemeint hätte: „Kannste haben!“  Prompt hatte sich für diesen die Aussicht eröffnet, sein Dilemma mit der übergroßen Portion auf seinem Teller durch generöses Teilen mit meinem Vater zu lösen. 

Marcus Schäfer, Pastor von Ewersbach am 29.3.2021:
„Ich habe ihn noch in so lebendiger Erinnerung, zuletzt mit seiner Augenklappe, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass er das naturgemäß etwas trübsinnige Altenheim nicht mehr mit seinem rheinischen Frohsinn erhellt. Ach wie schade!“

Kommentare

Friedhelm Röder hat gesagt…
Dank dieses humorvollen Hintergrundes war es dann auch kein Wunder, dass ich in meiner Zeit als Psychiater in einem psychiatrischen Krankenhaus im Ruhrgebiet folgende Entdeckung machte: Dort im rheinischen Ruhrgebiet gehörte wie im Rheinland das häufige Erzählen von Witzen zum normalen Bestandteil eines Treffens mit Freunden und Bekannten. Folglich verfügten recht viele Leute über einen oder mehrere Lieblingswitze, die bei solchen Gelegenheiten zum Besten gegeben wurden. Das machte ich mir anfangs per Zufall, später regelmäßig zu Nutzen, indem ich Patienten danach fragte, ob sie vielleicht einen Lieblingswitz kennen würden. Etwas jeder Dritte bejahte diese Frage. Ich bat den Patienten dann, mir diesen Witz zu erzählen. Dabei stellte sich immer wieder heraus, dass die Patienten sich speziell diesen Witz gemerkt hatten, weil dessen Inhalt mit einem zentralen Problem ihres Lebens zusammenhing. So konnten wir uns lachenderweise und damit auf eine befreiende Art mit ihrem Thema beschäftigen. Daraus ergaben sich häufig verblüffende Anregungen für den weiteren Alltag.

Als ich später in Nordhessen tätig war, versiegte diese Quelle inspirierender Therapieansätze, da man dort im Alltag Witze nur in Ausnahmefällen erzählt.

In meiner Klinik im Ruhrgebiet mussten alle Gespräche in der Ambulanz, wo ich tätig war, auf Band diktiert und von den Sekretärinnen getippt werden, weil die Handschriften der Ärzte in den Ambulanzkarten unterschiedlich gut lesbar waren. Also diktierte ich auch alle Witze, die mir erzählt wurden. Prompt stieg die Beliebtheit meiner Bänder bei den Sekretärinnen, die ja sonst meist traurige Geschichten zu schreiben hatten. So ging mir auf, welche seelische Belastung diese Damen zu tragen hatten. Deshalb habe ich später in Hessen Diktate auch mal unterbrochen, um den Sekretärinnen einen Witz zu erzählen oder aus einer Witzesammlung vorzulesen. Kein Wunder, dass ich mit dieser in einer Klinik sehr wichtigen Berufsgruppe immer ein gutes Einvernehmen hatte!

Wenn ich dann abends heimkam, kam sofort unsere Juliane an. Sie ging damals in die zweite Klasse. "Papa, welche Witze hast Du heute gehört?" So ging der Humor meines Vaters nun schon in die übernächste Generation.