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Rosa

 

Rosa Röder im Jahre 2016

Anläßlich des ersten Geburtstages meiner Mutter nach ihrem Tode verschickte mein Vater den nachfolgenden Brief an alle Empfänger der damaligen Todesanzeige:

Dankbare Erinnerung an meine liebe Frau Rosa anlässlich ihres Geburtstages 23. Oktober 1926

Zuvor ein Wort von Dietrich Bonhoeffer: „Je lebendiger und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne wie ein kostbares Geschenk in sich.“

Ihr Lieben in Familie, Verwandtschaft und Freundschaft!

Wenn unsere liebe Heimgegangene noch unter uns weilen dürfte, würden wir miteinander am heutigen 23. Oktober 2018 ihren 92. Geburtstag feiern können. 

Nun sind wir der guten Zuversicht, dass das vom Apostel Petrus in seinem ersten Brief in Kapitel 1, Vers 9, geschriebene Wort seine volle Erfüllung gefunden hat. (Übersetzung lt. Schlachter)     

„Ihr werdet euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens davonbringet.“

Das, was Rosa jetzt schon erleben darf, geht sicherlich über unsere Vorstellungskraft hinaus und soll uns auch nicht zu Spekulationen verleiten. Möge es uns allen ein Ansporn sein, unser Leben in all seinen verschiedenen Herausforderungen an der Hand Jesu im vollen Vertrauen zu Gott, unserem Vater, zu führen. Im Blick auf die hinter uns liegenden Jahre mit ihren einzelnen Belastungsproben versuche ich, die Geschehnisse zeitlich einzuordnen:

Die „Leidenszeiten“ von Rosa fingen im Jahre 2011 an. Im Mai hatte sie ein neues rechtes Knie bekommen. Die notwendige OP  erfolgte in einem Krankenhaus im Bergischen Land. Anschließend verbrachte sie einige Wochen in einer Reha-Klinik.

Im Herbst waren wir bei einem Treffen im Missionshaus bei lieben Freunden zur Übernachtung untergebracht. In der Nacht musste Rosa zur Toilette, machte aber aus Rücksichtnahme kein Licht an. So vertat sie sich in der Zimmertüre. Anstatt ins Schlafzimmer zurückzukehren, öffnete sie die Tür zum dunklen Treppenhaus. Schon beim 2. Schritt stürzte sie eine 14-stufige harte Eichentreppe hinunter. Sowohl das operierte Bein als auch Rücken und Kopf wurden in Mitleidenschaft gezogen.  Das war besonders gefährlich, da Rosa schon Marcumar nahm, ein Mittel zur Verdünnung des Blutes. 

Im Jahre 2012 musste Rosa sich in der Kölner Herzklinik einer Operation unterziehen: Zwei Herzklappen wurden erneuert, und eine dritte wurde gerafft. Ein Jahr später (2013) erhielt sie einen Herzschrittmacher. 

So kam eines zum anderen, und schließlich stieg der Verdacht auf Demenz auf. Bei einem Mülheimer Arzt konnte sie bei der ersten Untersuchung nicht mehr erkennen, welche Zeit auf einem Wecker festzustellen war. Das gleiche Resultat erlebten auch Uschi und Dave im Mai 2016, als ich wegen körperlichen Erschöpfung für eine Woche ins Holweider Krankenhaus kam. Röschen war nun in Ewersbach, und Dave forderte sie auf, folgenden Vermerk auf einen Zettel zu schreiben:

„Ich bin bei Dave und Uschi. Alles ist gut.“ Rosa gab Papier und Stift zurück mit der Feststellung, dass sie dazu nicht mehr in der Lage sei.

Im September musste Rosa im Holweider Krankenhaus an einem Leistenbruch operiert werden. Hier kam es auch zu dem unerwarteten Verlassen  der Station und des Krankenhauses. Ein Radfahrer brachte sie zurück, nachdem sie ihm bekannt hatte, dass sie nicht mehr wüsste, wo sie hingehörte. Die Polizei war schon bei mir und erbat ein Photo von ihr, um sie suchen zu können.

Vom 26.10. - 21.11.16 schlossen sich zwei Krankenhaus-Aufenthalte an, da Rosa im häuslichen Badezimmer zu Fall gekommen war. Schließlich erfolgte von hier aus die Überführung zum Pflegeheim nach Ewersbach. So positiv ihr Verhalten auch im Anfang erschien, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten nahmen rapide ab. Ihr ungetrübtes Verhältnis zum himmlischen Vater wurde deutlich in ihrem Gebet: „Vater, hole mich heim! Vater lass mich heimkommen!“  Ihre Bitte wurde am 11.2.17 erhört. Gott sei gepriesen!



Uschis Traueransprache

Am 11.2.2017 hielt meine Schwester Uschi im Rahmen der Nachfeier der Beerdigung unserer Mutter die nachfolgende Ansprache:

Das „Erbe“ meiner Mutter
So wie jeder von uns hatte auch meine Mutter positive und schwierige Seiten in ihrer Persönlichkeit. Ich möchte heute einige ihrer nachahmenswerten Eigenschaften nennen, die auch mich geprägt haben und die ich im Gedächtnis halten will als das „Erbe“ meiner Mutter.

Sie war eine sehr fleißige und enorm flinke Frau, begeisterungsfähig und konnte andere für ihre vielen Ideen gewinnen und sie mitreißen.

Sie war dem Leben sehr zugewandt, interessiert an Geschichte und Politik, und v.a. bereit, Neues kennenzulernen: Wir haben als Familie einige interessante Urlaube im europäischen Ausland gemacht. Später, als wir Kinder aus dem Haus waren, haben meine Eltern viele Reisen in alle Welt gemacht, um Missionare oder ausländische Freunde zu besuchen. Initiator war meist meine Mutter.

Sie war sehr kommunikativ, egal ob in Deutsch, Englisch oder Französisch. Ich erinnere mich an einen gemeinsamen Urlaub in Frankreich: Die Vermieterin unserer Ferienwohnung redete in schnellstem Französisch auf uns ein, meine Mutter antwortete ebenfalls in einem Wortschwall. Auf meine schüchterne Frage an sie: “Verstehst du, was die Frau uns sagen will?“, antwortete meine Mutter: „Nöö! Aber das macht nix! Hauptsache, wir reden miteinander!“

Hier im Altenheim war sie sofort bekannt als die „Englisch sprechende Oma“! Auch konnte sie noch ein französisches Gedicht aus der Schulzeit runter rasseln.

Sie war sehr hilfsbereit, v.a. wenn es um die materielle (und auch finanzielle) Versorgung von Hilfsbedürftigen ging. Wieviel Energie, Zeit und Ideen hat sie in die Ausstattung der neu gegründeten WEC-Missionszentrale in Eppstein gesteckt! Viele Missionare sind von ihr „beschenkt“ und versorgt worden. Auch noch in ihrem hohen Alter hat sie sich vehement dafür eingesetzt, daß junge Flüchtlinge, die in die Kölner Gemeinde kamen, eine Wohnungseinrichtung bekamen.

Sie war sehr gastfrei. Egal, wen wir Kinder manchmal spontan zum Übernachten anschleppten … sie ließ sich nicht durch eigene hohe Ansprüche unter Druck setzen, sondern stellte das Haus einfach zu Verfügung. Viele internationale Gäste (Missionare, Messegäste oder Freunde aus dem Ausland) waren bei ihr willkommen und genossen die Gastfreundschaft.

Sie war sehr missionsinteressiert. Seit Anfang der 50er Jahre waren immer wieder Missionare bei uns zuhause – quasi Mission zum Anfassen! Wir waren als Familie mehrfach auf Missionskonferenzen in Schottland. Meine Eltern ermöglichten uns Kindern, alleine nach Schottland zu reisen und Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen. Über viele Jahrzehnte haben meine Eltern (v.a. meine Mutter als Briefeschreiberin, später mein Vater) enge Kontakte zu vielen Missionaren gepflegt.

Sie war eine treue Beterin. Meine Eltern haben täglich intensiv für viele Menschen gebetet: für die inzwischen große Familie mit Kindern, Enkeln und Urenkeln; für viele Missionare, für Freunde und Gemeinde. Und sie hat genau verfolgt, was aus diesen Gebeten wurde, und hat sich besonders gefreut, wenn Gott Gebete konkret beantwortet hat.

Ja, sie war eine überzeugende Nachfolgerin Jesu. Halbherziges, laues Christsein konnte sie schlecht akzeptieren. Sie wünschte jedem, den sie näher kannte, eine enge, persönliche Beziehung zu Jesus.

Und so ist sie nun am Ziel angekommen! Ich bin dankbar, dass ich eine solche Mutter haben durfte!  

Vaters Urne wird hier auch beigesetzt werden.


Verlobungszeit:


Ich zitiere aus dem Bericht meines Vaters „Mein Leben“:


  „Zugegen waren mein Vater, meine Schwester Hilde mit ihrem Mann, meine Tante Klara, Onkel Leo, meine Schwägerin Hilde Eilert mit ihrem Sohn Karlheinz und natürlich unsere liebe Anneliese Scheffels. Es war ein schönes Zusammensein."



 Dieses Foto war das Passfoto von Heinrich Röder, seinem Vater. Es stammte aus dem Führerschein, den sein Vater bald nach dem Ersten Weltkrieg gemacht hatte, um auch als Fahrer arbeiten zu können. Ein eigenes Auto hat er zeitlebens nicht besessen.  


Links Tante Klara Winnen geb. Habig, die Schwester seiner Mutter. In der Mitte ihr Mann Onkel Leo Winnen. Daneben seine Schwester Hilde.

Hilde Eilert, die älteste Schwester von Rosa, mit Karlheinz, etwa 1939



Hilde Bandomir geb. Röder, seine Schwester, im September 1945

Weiter aus dem Bericht „Mein Leben“:


"Wie mir mein Vater später sagte, könne er jetzt in Ruhe sterben, da ich ja versorgt sei. Das wäre seine Not gewesen, nicht zu wissen, was aus mir würde, wenn er die Augen schließen würde. Ein großer Lebenswille schien ihn nicht mehr zu beseelen, nachdem „seine liebe Ella“ von ihm gegangen war. (Sie war am 30.6.1950 gestorben.)

Zwei Tage später, am 23.10.1950 hatte meine Mutter Geburtstag. Zu diesem Anlass hatte mein Vater das nachfolgende Gedicht verfasst, mit seiner feinen Handschrift geschrieben und das Titelblatt gemalt.




Hier noch einmal der Text zur besseren Lesbarkeit:

Was blasen die Trompeten? Was freu’n sich alle Leut‘?
Was ist denn bloss in Köln los? Es ist ganz festlich heut‘.
Die Jungen und die Alten, sie singen froh und hell,
aller Augen seh’n ganz anders in diese trübe Welt.

Ich konnte nicht anders, ich mußt‘ es erfahren,
was heute die Menschen fröhlich macht.
Ich ging zu den Kindern, die scherzten und lachten
inmitten duftender Blumenpracht.

Zum grössten von ihnen sprach ich dann ganz leise:
Verrat‘ mir doch mal, warum diese Weise?
Da sah sie mich erstaunt an: Mein Herr, das ist doch klar,
das Röschen hat Geburtstag, ‘s wird 24 Jahr!

Mein Herze ging in Sprüngen, es konnt‘ nicht ruhig gehen,
Vor meinem geistigen Auge sah‘ ich mein Röschen stehn.
Das lieblich-freundliche Gesicht mit blauen Äugelein,
es schien mir zuzunicken: Bald darfst du bei mir sein.

Nun bin ich gekommen und freue mich sehr, Deine Hand in der meinen zu halten.
Wir wollen uns freuen, doch vielmehr: Wir danken für Jesu Walten.
Es hat uns geführt aus Nacht zum Licht, die Sünde und Schuld uns vergeben,
Es hat uns die Kindschaft, die Hoffnung des Heils, den Geist des Lebens gegeben.

Ihn wollen wir danken für s Glück-eine Führung, für seine Hilfe in aller Not,
Er sei unser Meister in allen Dingen, Er sei unser Retter, unser Gott.
Für’s kommende Jahr sei Du Ihm befohlen , Er mache ein Werkzeug der Gnade aus Dir,
dann bist Du gewappnet in allen Gefahren, eine Freude dem Herrn, eine Freude auch mir.

Weiter aus dem Bericht „Mein Leben“:

„Die Weihnachtszeit 1950 nahte und Röschen übernahm die Aufgabe, das Weihnachtsgebäck herzustellen. Es sollte in unserer sehr kleinen Küche auf einem alten Kohleherd geschehen. Röschen kaufte sich Dr. Oetker’s Koch- und Backbuch und hielt sich streng an alle darin gemachten Angaben. Mein lieber Vater verhielt sich in diesen Tagen nicht sehr aufmunternd. Röschen versuchte, alles recht zu machen, damit das Ergebnis ordentlich sei, dann schüttelte er missbilligend den Kopf und meinte: „Mein Ella hatte alles im Kopf, sie brauchte kein Buch!“ (Die Mutter meines Vaters war Köchin gewesen.) Röschen musste oft ihren Ärger hinunterschlucken."



Johann Wilhelm Adenauer ca. 1940, der Vater von Rosa



Christine Adenauer geb. Krupp ca. 1940

"Um ein möglichst normales Verhältnis zu meinen Schwiegereltern in Bruchhausen herzustellen, fuhren Röschen und ich eines Tages zu ihnen hin. Obwohl Röschen erst nach langer Zeit wieder daheim auftauchte, war die Begrüßung sehr kühl, was mich innerlich schockte. Ich hatte als Kind daheim immer eine herzlichere Begrüßung erfahren. Röschen machte mich den Eltern gegenüber bekannt. Sie war mir gegenüber freundlich und akzeptierten meinen Weg, da ich in ihren Augen ja drin blieb, in dem ich als Kind erzogen worden war. Röschen aber hatte den Schoß der katholischen Kirche verlassen und damit auch dem Elternhaus Schande bereitet."


Heinrich mit seinen Schwestern Lisbeth rechts und Katharine links von ihm

"Im neuen Jahr 1951 fuhr mein Vater das letzte Mal in seine Heimat und wohnte der Hochzeit von Georg Wagner mit seiner Braut Mariechen bei. Georgs Mutter Katharine war die Schwester meines Vaters."


Katharine Wagner mit ihrem Sohn Georg und ihrer Schwester Lisbeth in den 1930er Jahren

"Ich habe in Erinnerung, dass es nicht lange danach gewesen ist, dass er einen Schlaganfall erlitt. Die Leidenszeit zog sich hin. Auf der einen Seite meinte er, was von selbst kommt, geht auch wieder von selbst. Auf der anderen Seite nahm er auch Medizin meiner verstorbenen Mutter, - es handelte sich vor allem um schmerzstillende Medikamente-, weil sie so teuer gewesen waren. Vaters Gesundheitszustand verschlechterte sich dermaßen, dass er ins Dreifaltigkeitskrankenhaus auf der Aachener Straße eingewiesen wurde. Ich besuchte ihn regelmäßig. Am 4.6.1951 kam er auf ein Einzelzimmer, wo er in der folgenden Nacht verstarb." (Das war drei Tage vorm 25. Geburtstag meines Vaters.)  


Heinrich Röder lebte vom 27.9.1882 bis 5.6.1951. 

"Nach dem Tode meines Vaters rechnete die Familie Kalthoff, das ich ausziehen würde, da sie die Räume dringend benötige. Aber wohin sollte ich ziehen?  Röschen und ich entschlossen uns, nunmehr bald zu heiraten. In die Überlegungen zur Bildung eines eigenen Hausstands kam ein Angebot einer Stelle bei der jungen Firma Koch. Am 15.6.51 begann ich meinen Dienst dort.“

Sommerausflug 1951 mit Mitgliedern der Jugendgruppe der Freien evangelischen Gemeinde Köln-Lindenthal:


Neben meiner Mutter saß Marianne Ohlef.



Neben meinem Vater saß das Ehepaar Hartling. Wer die Frau neben Marianne Ohlef war, konnte ich nicht herausfinden. 

Die Verlobungszeit endete mit der Hochzeit am 13.10.1951.

Am 30.10.2022 veröffentlichte ich einen Post zu einem Foto meiner Mutter im Geschwisterkreis 1932.

Zeitgleich veröffentlichte ich die Sammlung der Todesanzeigen meines Vaters zu ihren Verwandten.

Rosa, die begeisterte Wanderin

Als Rosa noch ein Mädchen war und zunächst in Unkel und später nach einer Zugfahrt von dort nach Neuwied ins Gymnasium ging, musste sie morgens bei jedem Wetter 3,5 km von Bruchhausen am Rande des Westerwaldes hinunter an den Rhein nach Unkel zu Fuß laufen und nach der Schule wieder zurück. Manchmal lief sie auch die 5 km von Erpel nach Bruchhausen nach Hause. Sie hatte darüber oft geklagt, wie kalt, schneeglatt und dunkel die Strecke war. Aber so war sie gewohnt, lange Strecken zu Fuß zu laufen. Und sie lief durch die Natur, wofür sie sich immer interessierte. 

Also unternahm sie mit Heinz alleine oder mit uns in den Schulferien in der Umgebung von Köln oder im Urlaub gerne Wanderungen.


Mit meinem Vater mal alleine ohne uns Kinder im Sommer 1965 im Pfälzerwald im Elmsteiner Tal und im Nonnental unterwegs. Mein Vater schoss das Foto.


Im April 1968 machte sie mit uns Kindern zusammen mit Gisela Mevissen, die das Foto machte, und deren beiden Töchtern eine Eifelwanderung. – Unser Vater holte uns in Monschau wieder ab. – Zum Abschluss muss er widerwillig auf Drängen unserer Mutter einige entwurzelte Osterglocken für unsern Garten mitnehmen. Links von unsern Eltern ist Ursula Mevissen und rechts Michael in der obligatorischen Lederhose zu sehen.


Im Juni 1992 Wanderung im Purder Tal/Bergisches Land. Der zweite Wanderstock gehörte meinem Vater, der das Foto machte.

Was lag also näher, als sie mit 63 Jahren Rentnerin wurde, Mitglied im Kölner Eifelverein zu werden. Fast jede Woche war sie nun unterwegs. Weitere Einzelheiten dazu und vor allem ein Bericht über ihre letzte Wanderung als demente Frau finden sich im Post „Wandern war der Rosa Lust“.

Kommentare

Friedhelm Röder hat gesagt…
Im Nachlass unsers Vater fand sich ein am 14.3.2017 anläßlich des Todes unserer Mutter von Ilse-Marie Neuroth verfaßten Brief an ihn, der hier wiedergegeben werden soll:

„Lieber Heinz,

vier Wochen und drei Tage ist es her, seit Röschen in die Ewigkeit gegangen ist, und es ist mir ein Anliegen, einige Erinnerungen an Röschen noch einmal in Worte zu fassen.

Ich traf Euch schon vor meiner WEC-Zeit, als ich zu Pfingstkonferenzen kam. So könnte man sagen, dass unsere Bekanntschaft schon über die Hälfte meiner Lebenszeit dauert.

Während meines Kandidatenkurses habt Ihr immer mal wieder einen Besuch in Eppstein gemacht, nicht nur zu Vorstandssitzungen und Gebetstagen, sondern privat. Das fand ich sehr eindrücklich. Besonders ein Besuch ist mir noch in Erinnerung, als Ihr kamt und Weihnachtsplätzchen mitbrachtet, die wir am langen, wachstuchgedeckten Tisch verspeisten, angeleuchtet von dem Licht, das durch die Glastür in die Diele fiel. Es war noch die Zeit, in der es Wochenenddienste gab und wir nachmittags gemeinsam Kaffee tranken.

Röschen hatte immer gute Ideen, die sie gerne mitteilte und andern zur Verfügung stellte, statt sie etwa nur für sich zu behalten und zu nutzen. Noch jetzt werden die Fenster im Missionshaus nach dem Hara-System geputzt, das sie uns empfohlen und mitgebracht hat. (Nur um ein Beispiel zu nennen.)

Sie war schwungvoll, wortgewandt, anschaulich, humorvoll, man konnte ihr gut zuhören und erlebte das Erzählte mit. Ob Reiseerlebnisse, die „pastorale Ausstrahlung ihres Mannes“, die jemand rühmte, „Fahrerflucht“, Krankenhauseindrücke -es war ein farbenfrohes Berichten mit dem ganz eigenen Zungenschlag.
Aber auch ihr Beten war persönlich, teilnehmend und eindrücklich. Etwas aufzugreifen und etwas daraus zu machen im Gebet, in Hilfeleistungen, das war eine große Stärke von Röschen. Seien es (in meinem Fall) Schuhe, ein Sitzkissen fürs Büro – sie war immer darauf bedacht, eigene erfahrene Wohltaten mit andern zu teilen.

Ich habe wegen WELTWEIT viel mit Bildern zu tun. Auf allen, die ich von Euch gesehen habe, kann man Eure Verbundenheit deutlich sehen. Ihr habt Euch ergänzt, jeder hat in seiner Art einen Gegensatz und eine Bereicherung gebildet.

Röschen hat auch bei Dingen, die ihr bedenklich erschienen, ein offenes Wort gesagt und ihre Überzeugungen nie verschleiert. Solche klaren Menschen sind selten. Ihr Mut, risikoreiche Operationen an sich vornehmen zu lassen, hat mich beeindruckt, ebenso ihre positive Einstellung zu den nachfolgenden Beschwerden und Mühen.

Der nächtliche Sturz bei Hermanns erschien mir wie ein Wendepunkt, und Röschen hat es selbst auch manchmal geäußert, dass das wie ein Trauma für sie war. Für mich ist Röschen jemand, der die verschiedenen Facetten des Lebens durchlebt und nicht gescheut hat, die erfreulichen, die bunten, aber auch die schmerzlichen und trüben. Ihre Offenheit und Bereitschaft, sich auf Dinge einzulassen, ihr Gottvertrauen, ihre Beweglichkeit- das sind nur einige Dinge, die sie als Vertreterin ihrer Generation uns Nachfolgenden vorgemacht hat – und man fragt sich, wie viele von unserer Generation wohl ein solches Altwerden fertigbringen werden. Auf vielen Bildern zeigt Röschen ein herzliches Lächeln – es gibt gar nicht so viele ältere Menschen, die so lächeln können!

Eigentlich müßte ich in alten Tagebüchern nachschauen, die ich bis 2012 geführt habe. Sie würden erstaunliche, längst vergessene Begebenheiten zu Tage fördern. Das ist mir jetzt zwar nicht möglich, sondern ich kann heute nur aus dem Gedächtnis eine kleine Rückschau halten und Röschen damit ein wenig würdigen.

Wenn man lange mit einem vertrauten Menschen umgegangen ist und ihn verliert, tritt manchmal eine Orientierungslosigkeit ein, weil mit dem Verschwinden des andern auf einen Schlag so vieles verändert ist. Ich wünsche Dir immer wieder den Beistand Gottes, der unveränderlich ist.

Herzlich grüßt Dich aus Eppstein

Deine Ilse-Marie Neuroth