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Lazarett – Letzter Einsatz – Gefangenschaft – Heimkehr

Vom 16. Februar bis 4. Juni 1945


Am 16.2.45 kam ich ins Lazarett in Oschatz. Hier wurde ich erstmals gründlich verarztet. Die Wunden durch Ein- und Austritt des Geschosses und durch den Streifschuss wurden etwas beschnitten und gründlich gesäubert. Eine kleine Kanüle wurde gelegt. Da es aber zu keinen weiteren Komplikationen kam, konnte sie bald weggenommen werden. Ich erhielt einen ordentlichen Verband und fühlte mich rundherum wohl. Ich hoffte, dass mich die Russen hier nicht so bald einholen würden. Ich erhielt das Verwundetenabzeichen in Schwarz und wurde in das Reservelazarett in Alt-Oschatz verlegt. 



Hier lag ich in einem großen Raum in doppelstöckigen Betten, zuerst auf der ersten Etage im oberen Bett, dann später in Parterre im unteren Bett. Hier hatten wir mit Ungeziefer zu tun. Wenn sich der Kamerad über mir heftig bewegte, konnte es sein, dass die Wanzen auf meine weiße Bettdecke fielen. Man konnte sich aber auch daran gewöhnen, zumal ich nicht über Wanzenstiche zu klagen hatte, wie andere Patienten.


Mir ist nur noch in Erinnerung, dass eines Tages Kuchen für Kölner gestiftet worden war. Man möge sich doch melden. Wir waren zu etwa 5 Leuten. Als ich fragte, woher die Einzelnen kamen, stellte sich heraus, dass niemand direkt aus dem Stadtgebiet stammte, sondern aus den umliegenden Orten wie Siegburg oder Leverkusen. Die Hauptsache war, man hatte den rheinischen Dialekt.


Die Zeit der Entlassung kam. Normalerweise hätte sich ein kurzer Genesungsurlaub daheim angeschlossen. Da die Amerikaner aber bereits seit März in Köln waren, hatte ich Gelegenheit, das Angebot des Urlaubs auf einem großen Gutshof anzunehmen. Am 15.4.45 kam ich nach Gut Görlitz in Schrebitz über Mügeln Krs. Oschatz. Die Inhaberin war Frau Charlotte Uhlemann. Das große Anwesen nannte sich Pfarrgut Kroppach. Der Urlaubsschein galt bis zum 28.4.45. Als ich ankam, waren schon 2 andere Genesungsurlauber da. Ein älterer Kamerad stammte direkt aus Köln, den ich nach dem Krieg als Straßenbahnschaffner wiedertraf. (Sein Name ist mir nicht mehr geläufig.) Ein jüngerer Mann namens Anton Keuser kam aus Sinzig/Rhein, Rheinstr. 9. In diesem vornehmen Hause ging es uns bestens, und wir wurden verwöhnt. So gut wie dort hatten wir alle seit langer Zeit nicht mehr gegessen.


Nach wenigen Tagen kreuzte eine Gruppe der Feldgendarmerie auf, die sich sofort an uns wandte und die Urlaubsscheine sehen wollte. Wir hatten alle ein gutes Gewissen und blieben aufgrund der noch gültigen Papiere ungeschoren. Ein Unteroffizier schenkte mir sogar eine Kiste Zigarren. Ich hatte in Polen im Raum Radom um der vielen Mücken wegen viele Zigaretten gepafft, aber nie Geschmack am Rauchen gewonnen. Als ich nun Zigarren bekam, erinnerte ich mich, dass mein Vater sonntags eine Zigarre rauchte und es immer schön gerochen hatte. Nun rauchte ich meine erste eigene Zigarre wie eine Zigarette über die Lunge. Mir wurde todschlecht. Damit war mir das Verlangen nach Zigarren oder Zigaretten für immer vergangen.


In der „Erholung“ auf dem Gutshof von Charlotte Uhlemann hatte ich die Bekanntschaft mit der Nichte der Gutsherrin gemacht und mir ihre Heimatanschrift im Hessenland notiert. (Mit ihr sei er in Kontakt geblieben. Nachdem er sich bekehrt hätte, hätte sie ihm gesagt, dass sie es mit dem Alten Fritz hielte, wonach jeder nach seiner Fasson selig werden solle. Daraufhin hätte er die Beziehung mit ihr beendet. Er wisse nicht mehr ihren Namen. Kurz nach seiner Heirat hätte sie ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie nun Mitglied der Freien evangelischen Gemeinde Nürnberg geworden sei. Er hätte dann nachgefragt, ob sie somit die Haltung vom Alten Fritz aufgegeben hätte. Das bejahte sie. Er habe ihr erzählt, dass er gerade frisch geheiratet hätte. Sie hätten sich voneinander wieder verabschiedet. Er hätte unserer Mutter alles erzählt und nie mehr von ihr gehört.)


Meine beiden Genossen nahmen Abschied, da ihr Urlaubsschein abgelaufen war. Ich hatte noch einige Tage Zeit. Dann hörten wir, dass die Russen und die Amerikaner sich am 25.4.45 in Torgau getroffen hätten. Das war nur knapp 40 km von uns weg. Gemäß Urlaubsschein hatte ich mich nach Ablauf der Frist in Berlin beim Verbindungsstab der Division HG zu melden. Wie sollte ich da durchkommen? Zudem nahm die Entwicklung an der Front einen solchen Verlauf, dass ich mit dem baldigen Ende des Krieges rechnete. Ich blieb also über den 28.4.45 hinaus auf dem Gutshof. 


Hier befanden sich auch einige französische Kriegsgefangene, die den Plan hatten, bei nächster günstiger Gelegenheit nach Westen in Richtung Heimat zu marschieren. Als bekannt wurde, dass der Führer angeblich an der Spitze der Truppen bei der Verteidigung Berlins gefallen sei, nahmen die Franzosen Abschied von dem Gutshof, wo sie sicherlich gut behandelt worden waren. Es war der 2. Mai 1945, und ich begab mich auch auf den Weg nach Westen. Dass Adolf Hitler sich im Führerbunker in Berlin am 30.4.45 erschossen hatte, war nicht bekannt.


Ich weiß nicht mehr, wie weit ich gekommen war, als ich von der Feldgendarmerie geschnappt wurde. Mein Urlaubsschein war längst abgelaufen. Die Frist von 24 Stunden, in der man Anschluss an eine militärische Einheit zu suchen hatte, war auch verstrichen. Ich war ein Deserteur, ein Fahnenflüchtiger. War meine Handlungsweise besser als die der Infanteristen auf dem Weg nach Lódz? Wäre General Schörner in der Nähe gewesen, hätte er mich an sichtbarer Stelle an einem Baum aufgehängt mit dem Schild: „Ich war zu feige, um für das Vaterland zu kämpfen.“ So war es an der Oderfront zu sehen gewesen. Selbst Soldaten mit der hohen Auszeichnung des Deutschen Kreuzes in Gold hatten keine Gnade gefunden.


Ich wurde vor einen Offizier geführt, der mich zu verhören und in diesem Falle über mein Schicksal zu entscheiden hatte. Mein Leben hing wieder an einem seidenen Faden. Mir war nicht ganz wohl ums Herz. Ich erklärte dem Hauptmann wider besseres Wissen, dass ich versucht hätte, nach Berlin zu kommen, aber in Torgau hätten sich die russischen und die amerikanischen Truppen getroffen, und es wäre kein Durchkommen möglich gewesen. Er schaute mich kurz, aber durchdringend an und sagte: „Ich will Ihnen glauben, aber denken Sie nicht, der Krieg wäre für Sie aus. Sie werden nach Freiberg gebracht, wo eine neue Einheit zusammengestellt wird.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nun ging es über Döbeln und Greifendorf nach Freiberg/Sachsen. 


In diesem Ort wurde das Ausbildungsbataillon Langner ins Leben gerufen. Das war nun wirklich der Rest von wehrfähigen Männern, die man kriegen konnte. Heute würde man sagen, es waren unter ihnen Teenies ab 16 Jahren und Grufties bis 55 Jahre. Wer Fronterfahrung hatte, bekam ein Gewehr, die anderen erhielten je eine Panzerfaust. (Im Internet habe ich keine Informationen über eine solche Militäreinheit gefunden. Dabei dürfte es sich um ein in den letzten Wochen des Krieges aufgestelltes Volkssturmbatallion gehandelt haben, das in keinem bislang aufgetauchten Dokument oder in der diesbezüglichen Erinnerungsliteratur genannt wurde. Die Angaben meines Vaters legen den Verdacht nahe, dass es sich um eine solche Einheit gehandelt haben dürfte.)


Am 5. Mai 1945 brachte man uns in die Nähe von Chemnitz in einen kleinen Ort. Der Karte entsprechend könnte es Niederwiesa. gewesen sein. Er lag etwas erhöht. Hinter den letzten Häusern gab es eine abfallende Wiese, die bei der von unten her kommenden Durchgangsstraße endete. Auf diesem Terrain waren bereits Schützenlöcher ausgehoben. Als Führer unseres Zuges stellte sich  ein junger SS-Untersturmführer vor und erklärte: „Wir erwarten gegen Abend auf der Straße dort unten die russische Panzerspitze. Wir haben den Auftrag, den Feind hier zu stoppen. Aus diesem Grunde werde ich Sie unten im Gelände einweisen und jedem sein Schützenloch zuweisen.“ Ein Unteroffizier der Infanteriedivision „Großdeutschland“ stand neben mir. Ich hatte auch noch meine Uniform der Division HG an. Wir beide hatten auf Anhieb Vertrauen zueinander. So machte er nach den Ausführungen unseres Vorgesetzten die mir bekannte Bewegung „Holzauge sei wachsam!“ Ohne uns verbal zu verständigen, hatten wir beide den Eindruck, dass der Auftrag zur Verhinderung des weiteren Vordringens der Russen hier an dieser Stelle sich zu einem sog. Himmelfahrtskommando entwickeln konnte. Wir gingen alle miteinander den Hang hinunter, und der Untersturmführer begann, die einzelnen Leute in die Schützenlöcher einzuweisen. Schließlich kam er auch zu uns beiden, die wir uns etwas zurückgehalten hatten. Der Unteroffizier sagte: „Untersturmführer, darf ich Ihnen etwas sagen?“ „Ja, bitte.“ „Untersturmführer, wir beide sind Scharfschützen.“ „ Oh, das ist ja prima, Sie können in dieses Loch und der Gefreite neben ihnen geht in das andere Loch.“ Der Unteroffizier schüttelte den Kopf und widersprach: „Untersturmführer, vielleicht wissen Sie es nicht, aber normalerweise sucht sich ein Scharfschütze seine Stellung selbst.“ Da stutzte unser junger „Leutnant“. Das hatte er sicherlich nicht gewusst, was der ältere Unteroffizier ihm da eröffnete. Ich selbst wusste es auch nicht, ja die ganze Finte mit dem Scharfschütze-Sein wäre mir nie in den Sinn gekommen. Hier aber konnte sie lebensrettend sein! Dann kam das erlösende Wort: „Gut, machen Sie es so.“ Der Unteroffizier und ich hasteten schnell nach oben zurück zum Dorf. Eine Scheune stand nahe am Rande. Hier suchten wir uns eine passende Stelle. Wir waren sehr müde und schliefen ein. Plötzlich gab es einen Höllenlärm. Es war schon dunkel, und die Russen schienen angekommen zu sein. Die Geschosse kamen bis zu uns herauf. Wir mussten weg, jetzt oder nie. Wir liefen die Dorfstraße entlang in Richtung Chemnitz. Plötzlich sprang hinter einem der letzten Häuser ein Offizier mit der Pistole hervor. „Halt! Sie wollen fliehen. Ich befehle Ihnen, gehen Sie sofort zurück!“ Instinktiv hatten wir beide unseren Karabiner auf den Hauptmann gerichtet. Der Unteroffizier sagte: „Herr Hauptmann, es dürfte doch wohl klar sein, dass nichts mehr zu retten ist. Wenn Sie jetzt den Weg nicht freigeben, schiessen wir Sie sofort über den Haufen.“ Das hätten wir auch getan, obwohl wir nicht wussten, ob noch andere Soldaten in der Nähe waren. Er trat zur Seite und hat auch nicht hinter uns hergeschossen. 


Wir beide trafen noch flüchtende Zivilisten und strebten mit ihnen nach Westen. Wir hatten uns gegenseitig nicht vorgestellt, verloren uns aus den Augen und trafen uns nicht wieder. 


Ich marschierte die ganze Nacht hindurch und kam im Laufe des Vormittags nach Chemnitz hinein. Um weiter zum Westen zu kommen, erschien es mir besser, wenn ich möglichst wie ein Zivilist aussah. So ging ich in ein Mehrfamilienhaus und klingelte an einer Wohnungstür. Eine ältere Dame erschien. Ich fragte sie sehr direkt: „Ich möchte meine Uniformjacke umtauschen in eine zivile Jacke. Können Sie mir helfen?“ Sie sah mich an, verschwand in einem Zimmer und kam mit einer braunen Jacke zurück, die mir passte. Ich bedankte mich, ließ ihr meinen Waffenrock da und machte mich weiter auf den Weg. Ich war nicht wenig überrascht, als ich mich plötzlich amerikanischen Soldaten gegenüber sah, die mich sofort festnahmen. Zunächst hieß es, die Amerikaner würden alle Soldaten, die gegen die Russen gekämpft hätten, auch an die Russen ausliefern. Dann wären alle Anstrengungen umsonst gewesen.

Wir wurden per Lkw mit schwarzen Fahrern nach Glauchau gebracht und ordnungsgemäß kaserniert. Bei der ersten größeren Zusammenkunft wurde aber von den Amerikanern klargestellt: Wen wir gefangen genommen haben, bleibt bei uns. Da fiel nicht nur bei mir ein Stein vom Herzen. (Dieses Gefühl der Erleichterung war auch mehr als berechtigt. Denn die Angehörigen der Division Hermann Göring wurden von der sowjetischen Führung wegen ihrer Beteiligung an Greueltaten an der Ostfront wie Angehörige der Waffen-SS und der Polizei als Kriegsverbrecher eingestuft und in sowjetische Gulags inhaftiert, aus denen nur wenige Überlebende zurückkehrten.)  


Am ersten Tag der Gefangenschaft bekamen wir gutes Essen. Einen Tag später, am 8.Mai 1945,  war der Krieg amtlich zu Ende. Wir bekamen nur ein mehr als dünnes Wassersüppchen. Es wurde uns aber erlaubt, Bettelbriefe an die Glauchauer Bevölkerung zu schreiben. In unserer Stube mit 12 Mann einigten wir uns dahingehend: Auf wessen Brief hin etwas zu essen kam, der erhielt die doppelte Ration. Zwei oder drei Tage später kam ein Marmeladeneimer voll guter Suppe, adressiert an den Gefreiten Heinz Röder. Wir ließen es uns gut schmecken. Die Versorgung wurde auch danach wieder besser. 


Die Amerikaner begannen sofort mit den Vorbereitungen zur Entlassung der Kriegsgefangenen. Keine Aussicht auf Freilassung hatten SS-Angehörige mit dem Blutgruppenzeichen in der Achselhöhle und Generalstabsoffiziere mit den roten Biesen an den Hosen. Mit Rücksicht auf die desolate Lage in Deutschland sollten Angehörige der Gruppen Bergbau, Landwirtschaft und Verkehr zügig entlassen werden. Wir mussten uns in der großen Turnhalle der Kaserne versammeln. An mehreren Tischen saßen amerikanische Offiziere mit Schreibkräften. Sie hatten zu prüfen und zu entscheiden, wer entlassen werden konnte. Es bildeten sich lange Schlangen und jeder hoffte, dass er einen positiven Bescheid bekam. In meinem Falle sass ein amerikanischer Offizier am Tisch, der wie ein Jude aussah und fließend Deutsch sprach. Bei dem Soldaten vor mir ergab sich folgendes Gespräch: „Was sind Sie von Beruf?“ „Ich bin Schneidermeister.“ „So, Schneidermeister, hm. Haben Sie keinen Schrebergarten zuhause“ „Ja, doch, Herr Offizier.“ „Nun also, dann sind Sie Landwirt. Gruppe Landwirtschaft!  -- Der Nächste!“ Nun kam ich an die Reihe. Ich sagte ihm, dass ich noch kaufmännischer Lehrling wäre in einer Fabrik, die Traktoren für die Landwirtschaft bauen würde. „Traktoren? Das sind doch Kraftfahrzeuge oder?“ „Jawohl, Herr Offizier“ „Gut, Sie können auch nach Hause, Gruppe Verkehr.“  - So habe ich die Amerikaner kennen gelernt und war hoch erfreut, dass es sich bisher gelohnt hatte, von den Russen weg und zu den Amerikanern zu kommen. 


In den nächsten 2 Wochen fing man an, Kriegsgefangene zu entlassen. Zunächst alle die, die im Umkreis von 30 km zu Hause waren. Dann ging es entfernungsmäßig immer weiter. Am 2.6.45 wurde mir mein amtlicher Entlassungsschein ausgehändigt. Wie er aussah, zeige ich als eingescannte Kopie: 

 



Am 3. Juni 1945 wurden wir auf einen Güterzug verladen. Es ging zunächst bis Hanau. Dort kam ein Zug mit amerikanischen Soldaten und ein Zug mit heimkehrenden russischen Kriegs gefangenen neben uns zu stehen. Dann kam eine Durchsage, dass den Amerikanern sechs Decken gestohlen worden seien. Das könnten nur die Deutschen gewesen sein. Wenn die Decken nicht innerhalb von zwei Stunden zurückgegeben würden, blieb unser Zug drei Tage ohne Verpflegung auf dem Bahnhof stehen. Vier Leute von uns beschlossen, die nächste Fluchtmöglichkeit zu nutzen, denn wir hatten ja den amtlichen Entlassungsschein in der Tasche. Als ein Güterzug sehr langsam an uns vorbeifuhr, sprangen wir von unserem Zug ab und konnten auf den anderen Zug aufspringen. Anscheinend hatte es niemand bemerkt. 


Am Morgen waren wir schließlich in Rüsselsheim. Hier wurde anscheinend die Lokomotive gewechselt, und wir hatten Angst, es könne in Richtung Frankreich gehen. Ob die Franzosen die amerikanischen Papiere anerkennen würden, wussten wir nicht. Wir wollten kein Risiko eingehen. Plötzlich fuhr der Zug an, und wir mussten abwarten, was nun geschähe. Da er in Ingelheim wiederum sehr langsam fuhr, sprang ich dort ab. 


Ich lief in ein Haus hinein und fragte, ob sie etwas zu essen hätten, ich käme gerade aus der Gefangenschaft und wollte noch bis Köln kommen.  „Ja, unsere Tochter ist bei den Amis in der Küche beschäftigt. Wir haben genug, du kannst Dich satt essen.“  Dann hatte es sich schnell herumgesprochen, und etliche Frauen kamen mit den Bildern ihrer Männer und Söhne und erkundigten sich, wo ich gekämpft hätte, bei welcher Einheit ich gewesen wäre, ob ich zufällig die Person auf dem Bild kennen würde usw. usw. Leider konnte ich niemandem helfen.


Nach dem Essen bedankte ich mich und ging zur Durchgangsstraße, um nach einer Transportmöglichkeit zu schauen. Es fand sich ein Lkw, der Kohlenstaub in Säcken geladen hatte und nach Leverkusen wollte. Der Fahrer nahm vier Leute mit, andere warteten auf Lkws mit „besserer“ Ladung. Mir war es egal, ich wollte nach Hause. Es dauerte nicht lange, so machte es sich bemerkbar, dass wir schwarz wurden. Die Leute erwiderten unser Winken nicht. Denn sie hielten uns für Farbige. 


Nach einiger Zeit kamen wir auch an das große Gefangenenlager bei Remagen, von dessen Existenz wir nichts wussten. Es wurde uns wieder sehr bange ums Herz, als die Posten nach unseren Papieren fragten. Da sie selbst Amerikaner waren, akzeptierten sie unsere Entlassungspapiere. (Heute würde ich sagen: Praise the Lord!) 


In Bonn verließ ich den Lkw mit der staubigen Fracht, klopfte meine Sachen aus und begab mich zur Autobahn nach Köln. Ein kleiner Lieferwagen nahm mich mit bis zum Heumarkt. Ich suchte die Schildergasse. Ein schmaler Weg mitten durch die Trümmer leitete mich bis zum Neumarkt. (Von dort lief er zum Chlodwigplatz.) Hier winkte ich wiederum einem Kleinlaster, der nach Frechen wollte. Die letzte mir bekannte Heimatadresse meiner Eltern war Köln-Lindenthal, Dürener Str. 387, kurz vor der Militärringstraße. Ich wurde bis vor das Grundstück gefahren. Vor dem Haus war ein großer Vorgarten. Ich ging zum Haus. Der Name Röder stand nicht auf dem Schild, aber der Name meiner Schwester, Hilde Bandomir. Sie war da. Überglücklich schlossen wir uns in die Arme. Obwohl schon Sperrstunde war, machten wir uns auf den Weg zu den Eltern, durch den Stadtwald zur von-Lauff-Straße Nr. 3. (Sie wohnten bei Familie Kalthoff aus der Brüdergemeinde unterm Dach in einer anderthalb-Zimmerwohnung mit Dachschräge.) Wir waren alle sehr bewegt, hatten meine Lieben doch seit Weihnachten 1944 nichts mehr von mir gehört. Auf der Silbernen Hochzeit meiner Eltern am 7. Februar 1945 bangten sie alle und fragten sich, ob ich noch lebte. Ihre vielen Gebete um eine gute Heimkehr hatten nun die Erhörung gefunden.


Ich schließe meinen Bericht mit den Worten aus Psalm 103: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.  


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