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Zwischenstation in Ostpreussen

Oktober 1944 bis Mitte Januar 1945


Auf höheren Befehl hin wurde unsere Division nach Ostpreußen verlegt. Durch meinen Dienst als RAD-Mann war mir die Gegend mit ihren weiten Feldern, den Wäldern und Seen nicht unbekannt. Dieses Mal ging es weiter nördlich bis in die Gegend von Insterburg und Gumbinnen.


Einzelheiten über die Tagesabläufe sind mir nicht mehr in Erinnerung. Ich weiß nur noch, dass ich eines Tages wahrscheinlich auf Grund von vielen Fisch- und Fleischkonserven furchtbare Magenschmerzen bekam und der Sanitäter befürchtete, dass ich an Gelbsucht erkrankt sei. Ich kann Gott nur dankbar sein, dass diese Diagnose gestellt wurde und ich nach Cranz, am Anfang der Kurischen Nehrung, in ein Reservelazarett kam. Es war das Gemeindehaus einer Baptistengemeinde.


Nach etwa 3 Wochen war der Arzt der Meinung, ich sei wieder voll verwendungsfähig und solle zu meiner Einheit zurückkehren. Ich fand sie wieder in der Nähe von Gumbinnen. Von meinen mir bekannten Kameraden waren nur noch eine Handvoll übriggeblieben. Die Einheit war während meines Lazarettaufenthaltes im Raum Trakehnen im Einsatz gewesen und dabei fast völlig aufgerieben worden. Ich war wieder auf eine „völlig normale Art“ bewahrt geblieben. So sehe ich es heute. Damals sagte ich noch: Ich habe Glück gehabt.


Die Kompanie wurde neu aufgefüllt. In unsere gefechtsmässige Ausstattung sollte nun eine neue Waffe aufgenommen werden: Flammenwerfer auf Schützenpanzerwagen. Es handelte sich dabei um 4 Fahrzeuge von einer Heereseinheit, die vom Memelgebiet her kam. Es wurden jeweils 4 Leute gesucht, die sich freiwillig melden sollten: Fahrer, Kommandant und 2 Flammschützen. Die Ausbildung hierzu sollte 2 – 3 Wochen dauern. Ich meldete mich mit dem Hintergedanken, dass ich für die Zeit der Ausbildung tabu war für den unmittelbaren Fronteinsatz. Was später sein würde, war im Augenblick uninteressant. Wir wurden nun abgestellt und bezogen Quartier in dem Ort Zweilinden, nicht weit von Gumbinnen. Flammwagenkommandant wurde Oberfeldwebel Friedel Samse. Er stammte aus einem Ort im Harz und war bis vor kurzem noch Fernaufklärer bei der Luftwaffe gewesen. (Er sei ursprünglich als Langstreckenaufklärer über Griechenland geflogen. Als kein Bedarf mehr an derartigen Piloten beständen hätte, sei er zur Infanterie versetzt worden und so in die Division „Hermann Göring“ gelangt. Da er einen Kopf kleiner als unser Vater gewesen sei, hätte dieser ihm immer gesagt: “Röder, du kriegst noch einen Kopfschuss!“)  Mein Kollege als Flammschütze hieß Walter Herrmann und kam aus Köln-Sülz. Wir lernten nun den Umgang mit der neuen Waffe und die Anwendung im Gelände, sei es, ein Gebäude in Brand zu setzen oder ein Grabensystem auszuräuchern. Während der Ausbildung trugen wir eine Schutzkleidung, später im Einsatz verzichteten wir darauf, um vom Feind nicht sofort als Flammenwerfer erkannt zu werden, denn unser Handwerk richtete nur totale Zerstörung an.


Unsere Ausbilder kamen gerade von einem Einsatz und erzählten uns Folgendes: Ein grosser Gutshof, wie in Ostpreussen nicht selten, war von Russen besetzt worden und behinderte den Rückzug deutscher Truppen auf einer nahe gelegenen Landstraße. So kam der Befehl, den Gebäudekomplex mit Flammenwerfern auszuschalten. Unter dem Feuerschutz normaler SPWs fuhren 2 Flammwagen an die Gebäude heran und setzten eins durch die bereits zerstörten Fenster in Brand. Es dauerte nicht lange, so brannte das ganze Anwesen. Hinter dem grossen Scheunentor lag in der Nähe ein Ententeich. Dahinein flüchteten sich russische Soldaten. Sie sassen bis zum Hals im Wasser. Ein Flammwagen sprühte kaltes Öl aufs Wasser, das sich schnell auf der Oberfläche verteilte. Der andere Flammwagen, der bisher mit seinem MG nur über die Köpfe strich, schickte einen heissen Strahl hinterher. So brannte der ganze Teich und mit ihm alle, die darin waren. Ich kann nicht sagen, dass wir begeistert waren, aber es wurde uns deutlich, vor welche Aufgaben wir evtl. gestellt sein würden.


Unter einem Flammwagen muss man sich einen normalen Schützenpanzerwagen vorstellen. Es ist ein Kettenfahrzeug, dass vorne zwei normale Autoräder hat. Im Innenraum war auf jeder Seite ein Tank mit einem Inhalt von 250 l Flammöl. Im hinteren Teil befand sich das Aggregat, das das Öl aus den Tanks sog und mit einer Kraft von 4 atü  in die sog. Tombac-Schläuche drückte. Es ist dasselbe Prinzip, das angewendet wird, wenn die Feuerwehr Wasser aus einem Löschteich saugt. So wie der Kommandant an der Vorderseite des SPW über dem Fahrer ein MG in einem Schutzschild hatte, so hatte jeder Flammschütze ein etwa 1,20 m langes Flammrohr in einem beweglichen Schutzschild. An der linken Seite des Rohres befand sich ein feststehender Hebel, um das Flammrohr in die gewünschte Richtung zu bringen, an der rechten Seite war ein beweglicher Hebel, um sprühen zu können. Dabei wurden zwei Funktionen ausgelöst. Zunächst wurde eine Magnesiumpatrone angeschlagen und in Brand gesetzt. Die zweite Funktion öffnete die Ölleitung. Das ausgestossene Öl (4 atü Druck!) kam an der brennenden Patrone vorbei und entzündete sich. Bei einem kurzen Stoß wurden etwa 9-10 l Öl ausgestossen. Die Magnesiumpatronen befanden sich in einem stabförmigen Magazin mit etwa 25 Stück. Wollte man nur kaltes Öl ausstossen, - wie in obigem Bericht erwähnt -, brauchte man das Magazin nur zurückzuziehen, so dass keine Patrone angeschlagen wurde; schob man das Magazin vor, war die Waffe wieder voll funktionsfähig. Wir „arbeiteten“ bis zu einer Entfernung von etwa 10 - 15 m. Ich weiß nicht mehr, welch hohe Hitzegrade entstanden, aber es reichte aus, den Gegner durch die entstehende Hitzewelle kampfunfähig zu machen, selbst wenn er nicht voll von der Flamme getroffen worden war. Die grösste Verwundbarkeit unserer Fahrzeuge bestand darin, dass sie nach oben hin völlig offen waren. Wir waren daher gegen Schüsse von einer höheren Warte aus oder gar gegen geworfene Handgranaten nicht geschützt.




Nach erfolgter Ausbildung wurden wir wieder in den Kompanieverband aufgenommen. Inzwischen hatte man unsere Reihen aufgefüllt mit Soldaten der Luftwaffe. Ganze Gruppen bestanden aus Unteroffizieren und Feldwebeln des ehemals fliegenden Personals. Sie wurden nun von Obergefreiten und Unteroffizieren der Division HG geführt. In einem Ort namens Richtfelde übten wir die infanteristische Ausbildung von Männern, die bisher über Berg und Tal geflogen waren und nun lernen mussten, hinter einem Maulwurfhügel Schutz zu suchen. Es ist kein Wunder, dass niemand von ihnen die kommenden Monate, von denen später die Rede ist, überlebte.

  

Wir waren auch eines Tages in dem Ort Nemmersdorf, der wenige Monate später in die Schlagzeilen kommen sollte. Die Russen waren dort eingefallen und hatten ein entsetzliches Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet. Das Dorf konnte zurückerobert werden, und die deutsche Führung benutzte dieses Ereignis, um mit vielen Fotos die schrecklichen Bluttaten der russischen Unmenschen ins (angeblich) rechte Licht zu rücken und dabei darzutun, dass wir Deutschen die westliche Zivilisation zu verteidigen hätten. 


Als wir dort waren, lag hoher Schnee. Hier war ich das erste und bis heute einzige Mal in einer Sauna. Ich sass in dem Raum ziemlich weit oben. Als das Wasser auf die glühendheissen Steine geschüttet wurde und dann verdampfte, glaubte ich, nicht mehr atmen zu können. Wir kamen ganz toll ins Schwitzen und mussten uns dann draussen im Schnee herumwälzen. Ein Unterschied zwischen Hitze und Kälte war zunächst nicht festzustellen. Um es kurz zu sagen, es hat uns allen gefallen und hat uns gut getan, wir fühlten uns geschlaucht und doch erfrischt.


In dieser Gegend erlebten wir auch noch das Weihnachtsfest 1944. Die uns gemeldeten Erfolge der vom Führer befohlenen Ardennen-Offensive beflügelte uns in der Hoffnung, das Blatt des Krieges könne sich noch wenden. Ich habe nur noch in Erinnerung, dass wir am Heilig Abend das Glücksspiel 17 und 4 spielten. Wir spielten nicht um Geld, sondern um Zigaretten. Ich hatte so viel Glück, dass ich eine Unmenge Glimmstengel gewann. Es waren die Zigarettenmarken Stambul und Sulima Rekord. Da gab es Spruch: „Siehst du die Kreuze am Wege dort? Das sind die Opfer von Sulima Rekord.“ Am Ende tauschte ich das erworbene Gut in die von mir so sehr geschätzte Schokolade „Schokacola“. (Dabei hätte es sich um runde Schokoladen gehandelt, die neben Schokolade noch ein Aufputschmittel enthalten hätten.) Es gab sie für Panzerbesatzungen und war auch in den sog. Nahkampfpäckchen enthalten. 


Mitte Januar kam ein neuer Einsatzbefehl: Weg aus Ostpreußen, wieder zurück an den Mittelabschnitt der Ostfront nach Polen in den Raum von Litzmannstadt (Lòdz). Unsere Kompanie sollte per Eisenbahn nach Lask befördert werden. Am Ende der Verladerei stellte sich heraus, dass für 2 Flammwagen kein Waggon mehr zur Verfügung stand. Zu diesen beiden, die erst einen Tag später verladen werden sollten, gehörte auch unser Fahrzeug. Es war zunächst einmal unsere Rettung, wie es mein nächster Bericht zeigen wird. 


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