Ich bin Mitglied einer WhatsApp-Gruppe zum christlich-jüdischen Dialog um den Rabbiner und jüdischen Theologen Yuval Lapide (Sohn von Pinchas und Ruth Lapide). Kürzlich ging es um die Frage, wie sich Juden und Christen das Leben nach dem Tod vorstellen. Hier sein Beitrag vom 5.3.2021:
„Mein großer Judenvater Pinchas Lapide, gebürtiger Wiener Jude mit Ursprungsnamen Erwin Spitzer, liebte den Latinismus „totaliter aliter“, den er unzählige Male in öffentlichen großen Auftritten benutzte, wenn sich die beteiligten christlichen Hörer und Hörerinnen über spitzfindige theologische Fragen bezüglich des Lebens nach dem Tode leidenschaftlich erhitzten.
Er zitierte die berühmte Geschichte zweier Mönche in einer benediktinischen Abtei, die ebenfalls leidenschaftlich und in blumigster Phantasie miteinander diskutierten, wie das Leben in Gottes Herrlichkeit nach ihrem Tode aussähe. Sie kamen überein, dass derjenige von ihnen beiden, der früher als der andere von Gott heimgerufen werde, dem hinterbliebenen Mönch im Traum erscheinen werde unter Mitteilung eines einzigen lateinischen Wortes. Wenn das Leben bei Gott tatsächlich ihren prachtvollen Phantasien entspräche, würde der verstorbene Mönch „totaliter“ (= völlig, umfassend) sagen, sollte das Leben bei Gott nicht ihren phantasierten Vorstellungen entsprechen, spräche er das Wort „aliter“ (= andersartig).
Nach einiger Zeit verstarb der ältere Mönch und erschien vereinbarungsgemäß dem hinterbliebenen Mönch im Traum überraschenderweise mit zwei Wörtern „totaliter aliter“ (= völlig, gänzlich anders) – das Leben bei Gott in der Ewigkeit ist völlig anders als unsere kühnsten Vorstellungen.
Als feststehende religiöse Redewendung steht „totaliter aliter“ als Warnung vor der Vergeblichkeit überzogener theologischer Spekulationen. Auch der evangelische Theologe Rudolf Bultmann sah in dieser Form die kürzeste und treffendste Charakteristik Gottes, als er davon sprach: „Deus totaliter aliter!“ - „Gott ist ganz anders!“
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