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Zum 71. Hochzeitstag

 


Der letzte Stopp noch in Polen auf der Heimreise von Warschau nach Braunschweig am Ende einer Studienreise vom 17.-28.7.2002 durch Ostpreußen 

Am 13.10.2022 wären unsere Eltern 71 Jahre verheiratet gewesen. Es war, wie meist in den Jahrzehnten zuvor ein sonniger Tag, den sie früher regelmäßig mit einer Wanderung an der Ahr verbrachten. Den 65. Hochzeitstag hatten sie noch miteinander erleben können. Aber es wurde nichts aus der geplanten Feier im kleinen Kreis. Meine Mutter war unaufhaltsam zum Pflegefall geworden. Und ihre letzte „Hochzeitsreise“ war die gemeinsame Fahrt im Krankentransport von Köln-Kalk, wo meine Mutter zuletzt im Krankenhaus gelegen hatte, nach Ewersbach in das Haus am Kronberg. Wenige Monate später starb sie dort.

Die Eltern erlebten jeden der ihnen dort verbliebenen Tage sehr bewusst. Manchmal ergaben sich aufgrund der fortschreitenden Demenz meiner Mutter unerwartete Gespräche mit unserm Vater. Er hatte sich bereits darauf eingestellt, sich dann in ihre Welt hineinzubegeben.

So begrüßte sie ihn eines Tages mit der freudigen Nachricht: „Heinz! Ich muss Dir was ganz Tolles erzählen! Ich glaube, wie kriegen noch einmal ein Kind!“ Mein Vater: „Och! Damit habe ich ja nun gar nicht mehr gerechnet! Was wünschst Du Dir denn, einen Jungen oder ein Mädchen?“ Sie: „Ach, ich hätte gerne noch einmal ein Mädchen!“ So haben die beiden noch einmal die Zeit als junges Ehepaar wieder aufleben lassen.

Ein anderes Mal meinte sie ganz liebevoll zu ihm: „Ich bin Dir ja so dankbar, dass Du mich als einfaches Mädchen vom Land genommen und geliebt hast!“

Ein anderes Mal begrüßte sie ihn ganz traurig: „Gerade ist mein Mann heimgegangen! Aber das macht nichts, ich werde ihm bald folgen!“ Mein Vater: „Das ist ja wirklich traurig, aber dann wollen wir die Zeit bis dahin noch gemeinsam verbringen und darauf warten, dass der Herr auch Dich zu sich holt!“

Nach ihrem Tode vermisste er sie sehr. Wiederholt erzählte er mir, dass er nachts von ihr geträumt hätte. Da hätte er ihr alles erzählt, was sich seit ihrem Tode so ereignet hätte. Mit leichtem Vorwurf in der Stimme: „Aber meinst Du, sie hätte etwas dazu gesagt? Dabei habe ich ihr doch alles erzählt! Früher hatte sie doch immer eine Meinung zu allem gehabt!“

Bei meinem letzten Besuch bei ihm in Ewersbach, wo ich ihn alleine in seinem Zimmer aufgesucht hatte und ihm erstmals von meiner neuen Partnerin Sonja Toepfer erzählt hatte, fragte er mich zu meiner Verblüffung mitten in der Verabschiedung – ich stand schon vor seinem Bett: „Was hältst Du eigentlich von unserer Ehe? - Wir waren doch sehr gegensätzliche Charaktere, nicht wahr?“ Ich konnte ihm nur zustimmen. Aber sie hätten es doch miteinander geschafft. Danach folgte seine damals seit Monaten übliche Verabschiedungsformel – es war ja immer unklar, ob wir uns wiedersehen würden: „Na dann, bis neulich!“ 

Beim nächsten, dem, wie sich später herausstellte, tatsächlich letzten Treffen -  dieses Mal lernte er Sonja kennen -, wies er sie darauf hin, wie wichtig die gemeinsame Lebens- und Glaubenshaltung sei. Wie früher meinte er zunächst keck, dann ernsthaft: „Wir haben unsere Ehe zu dritt geführt! – Jesus war der dritte im Bund, der uns geholfen hat, mit den Unterschieden zwischen uns beiden gut zurechtzukommen. Denn das können Sie mir glauben: Die Rosa war kein Heinz!“ Gegen Ende dieses Treffens fertigte Sonja, eine gute Fotografin, eine Portraitserie von ihm an. Eine der damaligen Aufnahmen kam dann auf die Traueranzeige.

Erst als ich selber im fortgeschrittenen Alter war, erfasste ich das Geheimnis des Gelingens der Ehe meiner Eltern. Es bestand darin, dass sie täglich miteinander gesprochen und im Gebet voreinander und vor Gott ihre Herzen mit aller Freude, aller Angst, aller Sorge und Groll und aller Dankbarkeit geöffnet und dabei jeweils den Frieden miteinander gesucht und gefunden hatten.

Einen ähnlichen Gedanken fand ich vor Jahren in leicht abgewandelter Form in einer Witzesammlung:

Im Ärmelkanal ist ein Frachter untergegangen. Die einzigen Überlebenden waren zwei italienische Nichtschwimmer! Alle sind verblüfft! Warum habt gerade ihr überlebt, wo ihr doch gar nicht schwimmen könnt? Nun ja, wir gingen wie jeden Tag auf Deck spazieren und redeten (gestenreich) miteinander. Das Wetter wurde immer schlimmer, die Wellen immer höher. Schließlich ging das Schiff unter. Und was haben wir gemacht? Es war nicht so schwer, wir haben einfach die ganze Zeit weiter geredet, bis wir schließlich an Land waren.

Auf das ständige Reden miteinander kommt es an, egal wie hoch die Wellen schlagen und wieviel Wasser man zwischendrin schlucken muss! In der momentanen Innen- und Außenpolitik sehen wir ja, wohin es führt, wenn nicht mehr miteinander, sondern nur noch über- oder gegeneinander gesprochen wird oder sich sogar das tödliche Schweigen ausbreitet! In dieser Hinsicht waren meine Eltern vorbildlich!

In diesem Sinne verbleibe ich mit herzlichen Grüßen

Dr. Friedhelm Röder


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