Liebe Leser,
ich spiele seit einiger Zeit im Blockflötenensembles
der Evangelischen Kirche Lautertal-Engelrod. Anlässlich der Verabschiedung des
dortigen Pfarrers Backwinkel-Pohl führten wir auf seinen Wunsch hin die Aria
von Heinrich Schütz „Also hat Gott die Welt geliebt“ auf. Dieser fünfstimmige
Chorsatz gehörte zu den beliebten Standartstücken des Mühlheimer Gemeindechores.
Ich hatte dessen Noten zwar nie gesehen. Aber dieses Chorstück wurde, als ich
noch in Köln lebte - also vor 1973 -, so oft aufgeführt, dass ich als einziger
das Stück auf Anhieb wiedererkannte. Bei jeder Probe hörte ich in meinem Kopf
den Mülheimer Chor und meinen Vater voller Begeisterung mittendrin singen. Und
da ich die mit meiner Renaissancebassflöte die Bassstimme blies, die mein Vater
als Basssänger gesungen hatte, fühlte ich mich ihm jedes Mal besonders eng
verbunden.
Am 6. November 2022 gedachte die Musikwelt des
Todestages von Heinrich Schütz. Hätte mein Vater noch gelebt, hätten wir
bestimmt zusammen zu dessen Ehren obige Aria gesungen. Heinrich Schütz ist zwar
nicht so berühmt wie Johann Sebastian Bach oder Ludwig van Beethoven. Aber wer
einmal eine Motette von ihm gehört oder gesungen hat, wird dessen Schwelgen in
der Kunst der Vielstimmigkeit, der Klarheit des Satzes und der Führung einzelner
Stimmen erinnern. Der in Sachsen Geborene verknüpfte aufgrund seiner Begabung
und seiner Ausbildung in Kassel und Venedig die Traditionen protestantischen
Komponierens mit der neuen, theatralischen, mehrchörigen Musik Italiens. Seine
Musik dokumentiert auch die Festigkeit des Glaubens inmitten des 30-jährigen
Krieges und vielen Todesfällen innerhalb seiner Familie. Der Dirigent
Hans-Christoph Rademann sagte über ihn: „Schütz agiert immer als Ausleuchter
des Wortes – wie jemand, der einem eine Laterne über den Text hält. Er verharrt
bei Stellen, die ihm persönlich wichtig sind, lange über dem Text und hat
häufig Wiederholungen komponiert. Wenn man
sich mit Schütz befasst und seine Musik kennt, dann lernt man, mit den Ohren zu
sehen.“
Der oben kurz abgebildete Chorsatz ist so ein Beispiel.
Er beginnt mit einem langsamen, musikalischen
Ausrufungszeichen: „Also!“ Danach geht es zügig weiter mit „Also hat Gott die Welt
geliebt,“ und nun kommt die nächste Betonung durch eindrückliche Wiederholung „dass
er seinen eingebornen Sohn, seinen eingebornen, eingebornen Sohn gab“. Dieser
Eröffnungsteil wird dann noch einmal komplett wiederholt. Danach zieht das
Tempo an, und es kommt eine flotte, fröhliche Wiederholung „auf dass alle,
alle, alle, alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden; auf das alle,
alle, alle, alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden.“ Nach dem ruhigen
Ausklingen von „werden“ kommt ein Taktwechsel vom gradtaktigen Anfang hin zu
einem raschen, beschwingten Dreierrhythmus „sondern das ewige Leben, das ewige
Leben, das ewige Leben , das ewige Leben haben.“ Danach wird wieder in den
gradtaktigen Teil von zuvor „auf das alle, …“ zurückgekehrt. Nach der
Wiederholung dieser zentralen Freudenbotschaft kommt dann das bekräftigende, langsame,
fanfarenhafte Ende „das ewige Leben haben“ mit der strahlenden Terz in der
Sopranstimme.
Wer die Chance haben sollte, dieses Stück zu hören
oder sogar mitzusingen, sollte sich diesen Genuss nicht entgehen lassen!
Mit herzlichen Grüße insbesondere an die Chorsänger
unter den Lesern
Dr. Friedhelm Röder
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