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Ausbildung in Holland


25. Februar bis 25. Juni 1944

Nachdem ich meine RAD-Zeit in Ostpreußen mit Arbeitseinsatz am Führerhauptquartier an der Wolfsschanze in der Nähe von Rastenburg gut hinter mich gebracht hatte, wurde ich kurzfristig zum Militärdienst eingezogen. Ich hatte mich 1943 freiwillig zur Division Hermann Göring gemeldet, um nicht bei der Infanterie zu landen, zu der ich gemustert worden war. An einem „Tag der Wehrmacht“ waren wir von der Handelsschule aus zu der Kaserne in Porz gefahren worden, um verschiedene Waffengattungen kennenzulernen. Hier entschied ich mich für Panzerjäger. Eine Freiwilligenmeldung sollte garantieren, dass man dann auch zu der Truppe kommen würde, für die man sich entschlossen hätte.


Man schrieb den 25. Februar 1944. Etwa 600 junge Männer aus dem ganzen Reich waren nach Utrecht/Holland gekommen. Heute sollte die Verteilung auf die verschiedenen Ausbildungskompanien vorgenommen werden. Ein Major leitete das Verfahren. Als erstes rief er: „Wer will freiwillig zu den Panzergrenadieren?“ Es gingen nur sehr vereinzelt Arme hoch, insgesamt von nur etwa 50 Freiwilligen. Der Major schüttelte missbilligend den Kopf. „Leute, wir brauchen dringend gerade Panzergrenadiere, motorisierte Infanteristen.“ Sein erneuter Aufruf blieb ohne Echo. „Wer von euch will zur Panzerwaffe?“ Nun waren es gut die Hälfte aller Anwesenden. Das war dem Major auch nicht recht. „So gross ist der Bedarf im Augenblick nicht. - Wer beruflich eine Ausbildung im Kfz-Handwerk begonnen oder schon hinter sich hat, nach vorne treten.“  Es gab zunächst ein großes Durcheinander. Dann wurden 150 junge Männer abgezählt. „Diese 150 Mann kommen zur Panzerwaffe. Die anderen, die sich gemeldet haben:“ Stillgestanden! Ihr werdet Panzergrenadiere!“


Ich selbst stand mit noch etlichen anderen jungen Männern abseits. Schließlich kam der Major auch zu uns. „Jungens, zu welcher Waffengattung wollt ihr denn?“  Ich antwortete, dass ich zu den Panzerjägern wollte. Andere wollten zur Nachrichtentruppe, Artillerie, Pioniere oder Fallschirmjäger u.a. Dann kam die Antwort des Majors: „Jungens, ganz gleich, wo ihr später zum Einsatz kommt, es geht nichts über eine gute infanteristische Ausbildung. Auch ihr werdet zunächst Panzergrenadiere!“ – Das war die erste Ernüchterung, um nicht krass von Betrug zu reden.


Von Utrecht ging es zunächst nach Bussum, etwas nördlich von Hilversum. Hier wurden wir eingekleidet und bewaffnet mit einem Karabiner 98. Patronentasche und Gasmaske waren nun ständige Begleiter. An Stelle von Stiefel gab es Schnürschuhe und Gamaschen. (Sie hätten bei der Wehrmacht Unterwäsche von der Firma Lauseto getragen hätten, die sei nützlich gegen Läuse gewesen. Hintergrundinformation: Ende 1942 wurde bei der Wehrmacht zur Läusebekämpfung das Präparat "Lauseto" der I.G. Farben eingeführt. Dabei handelte es sich um das 1939 entdeckte Insektizid "Dichlordiphenyltriclorethan = DDT", das als Kontakt- und Fraßgift wegen seiner guten Wirksamkeit gegen Insekten, der geringen Giftigkeit für Säugetiere und des einfachen Herstellungsverfahrens jahrzehntelang eingesetzt wurde.) Wir erhielten auch schon unsere Erkennungsmarke, die immer zu tragen war. Die Eintragung lautete: „Nr. 4755, 2./Ers.u.Ausb.Rgt.H.G.“ In Bussum waren wir in einer Schule untergebracht. In der Zeit vom 1. bis 22. März 1944 begann die Grundausbildung zum Infanteristen. Sie war hart. Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, dass es nicht allzu weit war, um an eine große Sandgrube zu gelangen, die etwa 10 m tief war. Mit den Befehlen: „Stellung oben!“ und nachfolgend „Stellung unten!“ brachte man uns bis an den Rand der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dabei war darauf zu achten, dass der Karabiner nicht mit dem allseits gegenwärtigen Sand in Berührung kommen durfte.


Das Foto zeigt unsere Ausbildungskompanie auf dem Wege zu einem Schulgefechtsschießen in der Nähe von Huizen in Holland im Frühjahr 1944

Am 23. März ging es zu Fuß nach Hilversum, wo ich im 1. Zug der 2. Kompanie landete. Auch hier waren wir in einem grossen Schulkomplex untergebracht. Das ganze Gelände war mit Stacheldraht umgeben, an den Eingängen befanden sich sog. spanische Reiter. Darunter versteht man bewegliche Drahthindernisse von etwa 2 m Länge. Es sind Holzgestelle, über die Stacheldraht gezogen ist. Der erste Zug unserer Kompanie lag in den Schulräumen der Hochparterre. Hin und wieder kam es vor, dass morgens beim Wecken um 6 Uhr der Spiess in der Stube erschien und uns aus den Betten jagte. Dabei mussten wir in unseren Nachthemden (- es gab keine Schlafanzüge -) durch die Fenster nach draussen springen und um das Haus herum durch die Flurtüre wieder in unsere Stube laufen. Die zur Arbeit gehenden Holländer, die am Schulkomplex vorbeikamen, mögen sich ihr Teil gedacht haben!


Hier in Hilversum wurden wir an allen infanteristischen Waffen ausgebildet: Karabiner 98, Maschinenpistole,  MG 15 (meistens in Flugzeugen eingebaut, daher nicht infanterietauglich), MG 34 (gegen Verschmutzung sehr empfindlich) und MG 42 (das Beste, „das auf dem Markt war!“), Pistole. SMG (Schweres Maschinengewehr) und Granatwerfer gab es nur im 4. Zug der Kompanie. Regelmässige Schiessübungen waren üblich. Dabei ist zu bemerken, dass ich nie zu den besten Schützen gehörte. Im Anfang gab es auch schon mal eine „Fahrkarte“, d.h. der Einschlag des Geschosses war auf der Zielscheibe nicht zu finden. Umso bemerkenswerter ist der Umstand zu bewerten, dass vor der letzten Begegnung mit den Russen mein Leben erhalten blieb, weil ein Unteroffizier der Division „Großdeutschland“ dreist behauptete, ich sei Scharfschütze. Doch davon später. (Mein Vater erzählte er mir auf meine gezielte Frage nach der Zahlenbewertung von Ringen auf der Schießscheibe bei Schießübungen, daß diese etwas größer als ein Handteller gewesen seien. Über die Bewertung der Ringe wisse er nichts mehr.) – Ausbildung an Panzerfaust und Panzerschreck, das. sog. Ofenrohr, erfolgte mehr in der Theorie, statt in der Praxis. Vielleicht hatten wir schon nicht mehr genügend Übungsmunition. Bewegung im Gelände, Angriff mit „Sprung auf, marsch, marsch“, Grabenkampf und Nahkampf mit Spaten und Umgang mit Handgranaten wurden mit Nachdruck und mancher Schinderei eingeübt, vom normalen täglichen Exerzierdienst ganz zu schweigen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass der konkrete Einsatz in vorderster Front noch viel stressiger war! (In Holland seien sie auch einmal in ein ausgebautes Grabenstück befohlen worden, in das sie sich hocken mussten. Dann sei mit scharfer Munition dicht über sie geschossen worden, damit sie sich an dieses Geräusch gewöhnten. Das sei gefährlich gewesen. So habe man sie an diese brenzlige Situation heranführen wollen.)

Auch beim Stubendienst und in der Putz- und Flickstunde, was Uniform, Schuhe und Unterwäsche anging, und bei der Wartung von Waffen und Gerät gab es immer wieder Reklamationen von Seiten der Ausbilder. Unser Unteroffizier Zeitel schrieb sich alles auf. Montags kam dann die Abrechnung: Es wurde laut vorgelesen, wer mit welchen Fehlern aufgefallen war, und dann musste die ganze Gruppe die Minuspunkte „ableiden“. Wenn der Uffz. merkte, wie es in uns allen kochte vor Wut, dann mussten wir still stehen, das Gewehr in Vorhalte nehmen, auf „Zeit 5“ gehen (halbe Kniebeuge) und laut nachsprechen: „Ich bin Soldat, ich bin es gerne, ich bin freiwillig!“ - Es gab auch noch eine besondere Schikane: Wir hatten in unserer Stube den Grenadier Theuerkauf aus Thüringen. Er hatte aus welchen Gründen auch immer bei Uffz. Zeitel „verschissen“. Nun gab er besonders auf ihn acht, um möglichst viele Reklamationen anbringen zu können. An einem Montag wurde wieder die Liste vorgetragen. Der Name Grenadier Theuerkauf wiederholte sich ständig, so dass in uns der Unmut aufkam, wir hätten an diesem Tag die ganze Schinderei nur dem Stubenkameraden Theuerkauf zu verdanken. Uffz. Zeitel erwähnte dabei die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Was es bedeutete, erfuhr ich in der folgenden Nacht: Mehrere Rekruten aus unserer Stube hatten sich mit Bettlaken unerkennbar gemacht, rissen den Übeltäter aus dem Bett und verdroschen ihn nach Strich und Faden. Das war der viel beschworene Kameradschaftsgeist. Ich muss mich heute noch schämen, dass ich aus Angst nicht protestiert habe. 


Unser Unteroffizier Zeitel hatte eine athletische Figur und war vor seinem Eintritt in das “Wachregiment General Göring“ Heringsverkäufer in Berlin gewesen. Auf dem Schulgelände bewohnte er mit unserem Zugführer Feldwebel XY ein kleines Haus neben unserem Schulgebäude. Meistens zum Wochenende, wenn ich Wachdienst hatte, bekamen die beiden Ausbilder Besuch, und ich musste zwei Rot-Kreuz-Schwestern aus dem nahe gelegenen Krankenhaus abends an einem Nebeneingang hinein- und morgens wieder hinauslassen.

Die Gruppe ist Teil des ersten Zuges mit ihren Ausbildern und Hilfsausbildern. Ich stehe in der oberen Reihe und bin der 2. bzw. 3. Soldat von rechts

Unteroffizier Zeitel wird mir immer gut in Erinnerung bleiben wegen folgenden Vorfalls:

Wenn jemand Geburtstag hatte, bekam er normalerweise an dem Nachmittag dienstfrei. Ich hatte am 8.6. Geburtstag und wurde 18 Jahre alt. Da aber am 6.6. die Amerikaner in der Normandie gelandet waren, befanden wir uns in höchster Alarmbereitschaft, an einen freien Nachmittag war gar nicht zu denken. Das hatte mir der Spiess (Hauptfeldwebel und Mutter der Kompanie) schon gesagt. Gegen Mittag nach dem üblichen Exerzierdienst sagte Uffz. Zeitel: „Grenadier Röder vortreten. Ich habe gehört, sie haben heute Geburtstag. Die Gruppe kann einrücken, ich werde mit dem Grenadier Röder noch in den nahen Wald gehen und werde ihm einen Denkzettel verpassen, dass er ewig an seinen Geburtstag 1944 denken wird.“ Dann ging es auf und nieder, mit dem Gewehr quer auf dem Rücken vorrobben, nicht auf den Boden stoßen, mit dem vorgehenden Uffz. auf Höhe bleiben usw. usw. Ich hätte ihn umbringen mögen. (Meinen Kommentar zu diesem Unteroffizier ist auf meinem Post "Extraschikane zum Geburtstag 8.6.1944" zu finden.)


Die Zeit in Hilversum vom 23.3. – 8.6.44 war restlos ausgefüllt, und es ist mir nicht in Erinnerung, dass  es in irgendeiner Weise langweilig gewesen wäre. (Anläßlich der Invasion durch die Alliierten in der Normandie im Juni 1944 hätten sie mit dem Gewehr im Bett schlafen müssen, denn das Gewehr sei ja „die Braut des Soldaten“.) Täglich gab es auch immer eine Zusammenkunft mit dem „Bericht zur Lage“. Sehr oft, wenn wir Dienst im Gelände hatten, zogen bei helllichtem Tag die feindlichen Bomberverbände in Richtung Heimat. Von einer Abwehr sah und hörte man nichts. - Der Ausgang in die Stadt Hilversum war sehr beschränkt, zumindest durften wir nie allein gehen, sondern mussten immer mindestens zu Dritt sein. Ein Kontakt zur Bevölkerung kam dadurch nicht zustande. 


Bei einem Kompaniefest waren wir in einem großen Saal, wo auch das Orchester des Hilversumer Senders spielte. Besonders beliebt war ein Stück, “Schwarzer Panter“ benannt. Unser Kompaniechef, Oberleutnant XY, war nicht mehr ganz nüchtern. Mitten in die Darbietung des Konzertstückes schrie er plötzlich dem Dirigenten zu: „Aufhören! Aufhören! Wir singen jetzt das Lied: Infanterie, du bist die schönste aller Waffen, Infanterie, du trägst mit Stolz den schweren Affen.“  Die Musik hörte auf, wir sangen das Lied, der Oberleutnant winkte dem Dirigenten: Weitermachen! Aber er weigerte sich und ließ sich nicht mehr zu weiteren Darbietungen bewegen. – Auf den Tischen standen schöne holländische Blumen. Vor mir hatte ich dunkelrote Tulpen. Da kam der Oberleutnant und sagte zu mir: “Tulpen essen!“ Da ich zögerte, wiederholte er: „Ich gebe Ihnen hiermit den dienstlichen Befehl, eine Tulpe zu essen.“ Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl zu folgen. Glücklicherweise hatte es keine Folgen!


Am 9. Juni 1944 bekamen wir den Marschbefehl nach Nordholland in Richtung Insel Texel. Normalerweise hätten wir als motorisierte Infanterie Schützenpanzerwagen haben müssen. Man hatte uns aber nur mit einfachen Fahrrädern ausgestattet: ohne Rücktritt und ohne Freilauf. Das war besonders hart für unsere Kameraden vom 3. und 4. Zug mit ihren Anhängern für SMG und Granatwerfer. Darum wurde an einem Tag  in Hilversum eine große Kreuzung gesperrt. Aus der Vielzahl der holländischen Fahrradfahrer wurden die Tandems konfisziert. Die Eigentümer bekamen eine Bescheinigung, dass sie ihr Tandem der deutschen Wehrmacht zur Verfügung gestellt hätten und dass sie nach dem Endsieg bevorzugt mit einem neuen Fahrrad zu beliefern seien. – So ging es am 9. Juni per Fahrrad über Beverwijk, wo wir mit Handgranaten Fische fingen, bis nach Anna Paulowna.


Das kleine Städtchen liegt nur wenige Kilometer vor Den Helder. Die Ausbilder hatten nun damit zu rechnen, mit uns zusammen in Kampfeinsätze verwickelt zu werden. Das bewirkte, dass sie auffallend milder wurden, ja, man hatte den Eindruck, dass sie schon mehr die Ebene der Kameradschaft suchten. Als aber der konkrete Einsatzbefehl und der erwartete Angriff von Seiten der Engländer ausblieb, änderte sich der Umgangston wieder. Der Kompaniechef sprach davon, es sei eine große Disziplinlosigkeit eingerissen, und er müsse wieder für eine härtere Gangart sorgen. So fing die Schinderei wieder an, die sich aber vornehmlich im Marschieren zum Amstelmeer und dem „Austoben“ in den Sanddünen ausdrückte.  Am 25. Juni 1944 kam der erlösende Tag. Wir sagten unseren Ausbildern und der Rekrutenzeit Ade und wurden zur Ostfront in Marsch gesetzt.


Das nachfolgende Foto zeigt unseren 1. Zug auf dem Schulgelände. (Hermann Göring habe als Reichsforstmeister Wert darauf gelegt, dass die Söhne von Förster oder angehende Förster in seiner Division kämpften. Entsprechend seien in seiner Kompanie auch Förstersöhne gewesen, die sich im Wald und beim Schießen gut ausgekannt hätten.) Im Hintergrund ist die Turnhalle, in der wir unsere Mahlzeiten einnahmen. Wenn jemand für ein oder mehrere Tage im „Karzer“ sass, wurde er zur Mittagszeit in die Küche geführt, durfte an allen Kesseln riechen, dann musste er in der Turnhalle sich an eine Sprossenwand hängen – Füße ca. 40-50 cm frei über dem Boden – und immer rufen: „Ich wünsche meinen Kameraden guten Appetit!“ 

In der Mitte Zugführer Feldwebel XY, 2. Mann rechts von ihm Uffz. Zeitel, der von mir öfters erwähnt worden ist. Ich selbst in der 2. Reihe unten der erste kniende Rekrut von links. 


       


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