Vom 17. Januar bis 15. Februar 1945
Am 17. Januar 1945 wurden wir verladen und kamen mit noch anderen Fahrzeugen einer anderen Einheit bis nach Lask, etwa 25 km westlich von Lódz (Litzmannstadt). Auf einer guten Fahrstrasse ging es nun ostwärts, um Verbindung zu unserer Kompanie zu bekommen. Unser erster Eindruck war, dass die deutschen Linien zusammengebrochen seien. Alles strömte nach Westen, wir wollten ostwärts. Infanteristen liefen ohne Gewehr neben der Fahrbahn, nur mit einem toten Hühnchen über der Schulter und höchstwahrscheinlich auch alkoholisiert. „Ihr Hermann-Göring-Boys werdet euch noch wundern!“ riefen sie uns zu. Wir waren innerlich geschockt und sehr erbost. Als wir wesentlich später von dem energischen Durchgreifen des Generals Schörner erfuhren, der rigoros gegen jeden vorging, der nicht bei einer kämpfenden Truppe angetroffen wurde, kamen uns diese Bilder, die wir auf dem Weg Richtung Lódz gesehen hatten, lebhaft in Erinnerung.
Wir brauchten nicht mehr bis nach Lódz zu fahren, sondern trafen den Rest der Kompanie nach ca. 18 km in dem größeren Ort Pabianice. Die Kompanie hatte bei der Durchfahrt der Vororte von Lódz erhebliche Verluste erlitten. Zwei unserer Flammwagen waren auch schon ausgefallen. Von den Dächern der Häuser waren unsere Kameraden offensichtlich polnischen Heckenschützen zum Opfer gefallen. Man hatte von oben her die gesamte Besatzung einschl. Fahrer erschossen. Auch von den anderen SPWs waren Verluste zu melden. Es sollen etwa 40 Mann tot oder verwundet gewesen sein, das war ungefähr ¼ der Leute, die tags zuvor von Ostpreussen her gestartet waren. Es blieb nur der sofortige Rückzug geboten. Wären wir mit unserem Flammwagen mit dem ersten Transport von Ostpreussen gekommen, hätte uns das gleiche Schicksal treffen können. Zufall oder Bewahrung?
In Pabianice gab es einen Stop. Wir suchten in den Mietshäusern nach Essen. Die Bewohner hatten fluchtartig ihre Wohnungen verlassen. Im Keller des Hauses, in das ich hineingegangen war, fanden wir eine Menge von eingemachtem Obst. Wir machten uns über Kirschen her, beachteten aber nicht, dass sie eigentlich zu kalt waren, um direkt aus dem Glas heraus gegessen zu werden. Sie schmeckten uns gut, weil wir hungrig waren. Die Quittung bekam ich 2 Stunden später.
Für die Nacht hatten wir uns am Rande des Ortes in einer Gärtnerei einquartiert. Ich füge eine handgezeichnete Skizze bei, damit man dem weiteren Bericht besser folgen kann.
Wir waren etwa 10-12 Mann und versammelten uns in Raum 1 zur Lagebesprechung. Mir wurde es durch die zuvor kalt gegessenen Kirschen speiübel. So erlaubte man mir, mich auf das Bett in Raum 2 zu legen. Die Nacht verlief ruhig. Etwa gegen 6 Uhr stürmte unser Leutnant in die Stube und schrie: „Wir sind umstellt!“ Im gleichen Moment schlug eine Pak-Granate auf der Fensterbrüstung ein. Sie musste von rechts gekommen sein. Ich war schlagartig gesund! Von den Glashäusern hinter dem Haupthaus kamen Pistolenschüsse und Gewehrfeuer. Wir sassen ganz schön in der Klemme. Die Räume 1 und 2 wurden verlassen. Wir wichen aus in den Flur und Raum 3. Mein Kamerad aus Köln-Sülz stand mit einem anderen von uns am Hauseingang zur Straße hin, ich stand mit Oberfeldwebel Samse am Ausgang zum Hof. Kurz nacheinander kamen zwei Russen aus den Glashäusern auf uns zu, allerdings ohne selbst zu schiessen. Das war ihr Verhängnis. Friedel Samse blieb ganz ruhig. Er ließ sie bis auf ca. 4 m herankommen und streckte sie mit der MP nieder. Ein Berliner SPW-Fahrer von uns verlor die Nerven. „Ich halte das nicht aus!“, schrie er, drängte uns zur Seite und lief mit erhobenen Armen auf die Glashäuser zu. Wollte er sich ergeben und hoffte aufs Überleben? Vor unseren Augen wurde er vom Gegner erschossen. Dann gab es einen heftigen Einschlag am Hauseingang. Die Pak hatte wieder zugeschlagen. Ich hörte jemanden furchtbar schreien. Ich lief zur Tür. Es war mein Kamerad aus Köln-Sülz. Er blutete aus der Brust heraus. Er starb unmittelbar darauf. Ich zog ihn in Raum 3. (Er legte ihn auf ein Sofa, hätte nichts für ihn tun können. Er habe seine Erkennungsmarke abgebrochen, hätte seine ausgestreckten Arme überm Unterleib zusammengelegt, so daß er ordentlich da lag. So mußte er ihn liegen lassen.) Ich faltete seine Hände zusammen und drückte ihm die Augen zu. Wer würde es bei mir tun?
Wo konnte uns in dieser Situation noch Hilfe kommen? Da wir aus einem geschlossenen Raum unmöglich flüchten konnten, entschieden wir uns, durch das Fenster auszusteigen und uns an die Hauswand zu stellen. Unser Leutnant rief alle Namen der SPW-Fahrer. Schließlich meldete sich unser Fahrer. Er war auf seinem Fahrzeug geblieben. Nun kam er auf Befehl hin an die Seite unseres Hauses gefahren. Oberfeldwebel Samse und ich bestiegen unseren Flammwagen, warfen das Aggregat an, preschten um die Ecke, nahmen die Pak mit unserem MG aufs Korn. Zu unserem Glück gaben die Russen das Geschütz auf, ohne uns zu beschiessen. Dann kam mein Part: Ich setzte die Gegend, wo wir Russen vermuteten, in Brand. Inzwischen hatten die anderen Männer unserer Gruppe zu ihren SPWs gefunden. Es ging weiter, zurück blieben der Berliner auf dem Hof und mein Kamerad Walter Herrmann aus Köln-Sülz. Erst nach meiner Rückkehr aus der Gefangenschaft konnte ich der Mutter vom „Heldentod“ ihres Sohnes berichten. Der einzige Trost war ihr, dass sie mir glaubte, dass Walter nicht lange gelitten hatte.
Die Reste der Kompanie fanden sich zusammen und vereinigten sich mit 40 Panzern vom Typ Panther. Nun waren wir eine starke Kampfgruppe. Das hatte zur Folge, dass wir uns oft den Weg gen Westen besser freikämpfen konnten. Dabei ist zu bedenken, dass wir meistens rechts und links von uns schon russische Panzerspitzen hatten, die sicherlich versuchten, uns einzuschließen. So ging unser Weg über Lask – Zdunska Wola – Sieradz – Warta – Kalisch. In Erinnerung ist mir hier nur noch, dass wir froh waren, im brennenden Sieradz dank einer noch intakten Brücke über die Warthe zu kommen. Etliche Panzer hatten wir verloren, doch weniger durch Feindeinwirkung, als durch technische Schäden, die nicht repariert werden konnten. Auch Spritmangel machte sich bemerkbar.
Wir näherten uns der Stadt Kalisch. Links war freies, etwas hügeliges Land. Zur rechten Seite war ein nicht allzu großes Waldgebiet. Plötzlich wurden wir von links beschossen. Alle SPWs fuhren in den Wald, unsere Panther gingen am Waldrand in Stellung. Nun erlebten wir eine sog. Panzerschlacht in aller Nähe. Die russischen Panzer vom Typ T 34 griffen in mehreren Wellen an. Ich weiß nicht mehr, wie lange Zeit der Schlagabtausch dauerte. Das Resultat war für die Gegenseite vernichtend: Bei nur 4 eigenen Verlusten wurden 32 russische Panzer in Brand geschossen oder zerstört. Wir hatten den Eindruck, dass die Gegenseite ihre Leute verheizt, denn unsere Panzer standen am Waldrand, die T 34 kamen wie auf dem Präsentierteller über die Anhöhe.
Bei anbrechender Dunkelheit ging es wieder weiter, aber es war uns nun deutlich geworden, dass der russische Druck stärker wurde und wir wieder mehr mit dem Feind ins Handgemenge kommen mussten. Unsere Marschroute ging nun über Ostrowo und Krotoschin in Richtung deutsche Grenze. Gemäß Führerbefehl war erbitterter Widerstand zu leisten. Ich kann die Örtlichkeit nicht mehr beschreiben. Nach verlustreichem infanteristischen Widerstand fuhren wir mit unserem Flammwagen über eine Wiese und hofften, bald einen schützenden Wald zu erreichen. Ich stand hinten beim Aggregat und beobachtete Infanteristen, die hinter uns herliefen. Wir waren inzwischen 5 oder 6 Leute auf unserem Wagen. Ein Einsatz als Flammenwerfer hatte sich seit Pabianice nicht wiederholt. Das Fahrzeug diente mehr oder minder nur noch als Transporter, der persönliche Einsatz war immer als Panzergrenadier. Plötzlich erschien auf der linken Seite in etwa 200 m Entfernung ein T 34. Er schoss und traf genau auf einen Infanteristen hinter uns. Er wurde in Stücke zerrissen. Der baldige 2. Schuss ging vorne in unseren Motor. Wir sprangen Hals über Kopf aus dem Fahrzeug. Dabei muss sich bei einem von uns ein Schuss gelöst haben, der unseren Kompanietruppführer mitten in die Brust traf und tödlich verletzte. Der 3. Schuss des Panzers ging genau ins Aggregat. Da wir noch eine Menge Flammöl in den Tanks hatten, gab es eine Explosion und ein riesiges Feuer. Hätte der 2. Schuss schon im Aggregat gesessen, was wäre aus mir geworden? Wieder nur Glück gehabt? Den Kompanietruppführer konnten wir in dem harten Boden nicht beerdigen, sondern legten ein aus nackten Zweigen selbst gebasteltes Kreuz auf ihn. Wir mussten ihn vor Ort zurücklassen.
Nun hieß es, zu Fuß hinterher hasten. Schließlich fand ich Platz auf einem Panzer, auf dem schon ein Oberzahlmeister mit einer stark blutenden Kopfwunde lag. Er suchte mit seiner Hand nach einem Halt. Ich gab ihm meine Hand, die er zunächst noch fest umschloss. Er war ganz still. Plötzlich war keine Kraft mehr zu spüren. Er hatte ausgekämpft. Bei nächster Gelegenheit nahm man ihn vom Panzer herunter.
In den nächsten Tagen bekamen wir den Kampfauftrag, den Ort Mallwitz zurückzuerobern, in dem nur schwache russische Kräfte sein sollten. Das Dorf lag an der Bahnlinie nach Lüben, von wo aus eine SS-Führungsschule ebenfalls einen Gegenangriff starten sollte. Um der folgenden Schilderung besser folgen zu können, füge ich wieder eine Skizze bei:
Wir waren mit unseren SPWs bis auf ca. 1 km an die Bahnlinie herangebracht worden. Wir versammelten uns bei Punkt 1 direkt hinter dem Bahndamm. Von hier aus sollten wir über eine offene Fläche bis zu einem Bächlein (2) vorstoßen und von dort aus nach rechts in das Dorf eindringen und die Russen vertreiben. Wir wussten noch nicht, dass sich im gegenüberliegenden Wäldchen auch noch russische Kräfte verbargen. Irgendwie mussten sie aber Lunte gerochen haben, dass wir da waren, denn es setzte heftiges Infanteriefeuer – darunter aber kein MG - ein. Viele Schüsse trafen die Gleise über uns, und es zischte von Querschlägern in erschreckender Weise. Dann kam der Befehl: „Sprung auf, marsch, marsch!“ Aber keiner rührte sich. Es war totenstill unter uns. Jeder dachte wohl, soll ich mich jetzt einfach wie ein Hase abknallen lassen? Es wurde auch nicht geschimpft. Ein Oberleutnant sprang auf die Schienen, blieb dort stehen, reckte den Arm und rief: „Vorwärts, Kameraden, mit Hurra an den Feind!“ Dann sind wir losgestürmt. In unseren Hurra-Rufen kam die ganze Angst zum Ausdruck. Links und rechts von mir blieb einer liegen, ich kam unbeschadet bis zum Bächlein durch und wandte mich dem Dorfe zu. Da klammerte sich einer an mich, der verwundet worden war. „Kamerad, nimm mich mit! Ich bin verwundet, lass mich doch hier nicht liegen!“ Ich löste mich von ihm, legte ihn wieder in den Schnee und sagte: „Wir holen dich später, erst müssen wir die Russen verjagen.“ Als wir etwa 100 m an das erste Haus herangekommen waren, wurde das Scheunentor nach vorne geklappt (3) und eine russische Pak erschien, die uns in dem niedrigen Graben unter Feuer nahm. Fast zur gleichen Zeit war einer unserer Panther über den Bahnübergang (4) bei uns erschienen, um uns Feuerschutz zu geben. (Warum jetzt erst, weiß ich nicht.) Unteroffizier XY, Kommandant des 2. Flammwagens, sprang auf den Panzer, um ihn auf die Pak aufmerksam zu machen. Sekunden später schoss die Pak ihn vom Panzer herunter. Er schrie ganz fürchterlich. Wie ich später hörte, waren ihm durch Granatsplitter die Genitalien weggerissen worden. Er starb noch, bevor wir ihn bergen konnten.
Nachdem vorerwähnter Panther die Pak außer Gefecht gesetzt hatte, konnten wir die ersten Häuser des Dorfes in Besitz nehmen. In einem Haus stand noch ein Russe am Herd, um zu kochen. Wir machten selbst keine Gefangenen machten. (Es sei darum gegangen, wer schneller sei. Er habe den Russen erschossen.)
Die Nacht verlief ruhig. Ich befand mich in dem großen Haus jenseits des Weges. Gegen 6 Uhr in der Frühe schien der Teufel los zu sein. Der Russe legte einen Sperrgürtel in Höhe der Bahnlinie mit seinen Raketenwerfern, Stalinorgeln genannt. Als wir uns noch fragten, was nun kommen sollte, griff russische Infanterie in mehreren Wellen mit Hurräh an. Ich wurde als MG-Schütze 2 in dem nebenstehenden Haus (5) eingesetzt. Wir lagen in einem Parterrefenster und konnten nun loslegen. Wir entfesselten insgesamt ein heftiges Abwehrfeuer, so dass auch etliche der Russen in den Schnee sanken. Mein MG-Schütze 1 hielt immer auf die Kämpfer, die bedrohlich nah waren. Dann erschien ein T 34 – meines Ermessens auch zu spät -, um seinen Infanteristen zu helfen. Plötzlich nahm ich wahr, dass der Panzer sein Geschützrohr direkt auf uns richtete. Dabei kommt man nicht in Hochstimmung! Sekunden später explodierte seine Granate über uns in der Fensterecke. Splitter von Steinen, Holz und Glas mit viel Staub umgaben uns, aber wir blieben unverletzt und weiterhin kv (kriegsverwendungsfähig). Wer auch immer von uns schoss eine Panzerfaust gegen den T 34. Sie traf zwar nicht, aber der Panzer drehte ab. Die vordersten Russen bemerkten das und liefen zurück. Etliche von ihnen wurden dann noch von uns erschossen. Der Angriff schien abgeschlagen. Einer unserer Unteroffiziere lief zu dem nächsten russischen Gefallenen und nahm ihm die MP und die noch vorhandene Munition ab. Die russischen Maschinenpistolen waren wegen ihrer Robustheit sehr beliebt.
Dann sagte mein Kamerad: „Übernimm bitte das MG, ich muss schnell mal raus.“ Die Aufregung schien ihm auf den Darm geschlagen zu sein. Da es plötzlich so ruhig geworden war, schaute ich aus dem Fenster nach rechts , und was sah ich? In Entfernung von nur etwa 10 m kamen Russen mit MP in der Hand. Was wäre geworden, wenn ich nicht geschaut hätte? Ich ergriff das Hasenpanier und flüchtete ins Haupthaus. Oberfeldwebel Samse sagte zu mir: „Sind Sie wahnsinnig, einfach vom MG wegzulaufen. Das müssen Sie holen.“ Das war ein Befehl! Da ich nicht wusste, ob jetzt Russen in dem von mir verlassenen Raum im Nebenhaus waren, schlich ich zur Tür, warf eine Handgranate hinein, und stürzte zum MG. Es gelang mir, die wertvolle Waffe herauszuholen. Es entspann sich nun anschließend ein zäher Kampf, der bis zum frühen Abend – es war ja noch Anfang Februar – dauerte. Schließlich kam der Befehl, sich endgültig abzusetzen. Mehrere Panther seien eingetroffen, die uns aus der Kampfzone bringen sollten. Hinzu kam noch ein SPW, der aber nur für Verwundete vorgesehen war. Unsere Schar war wieder kleiner geworden.
Am Ende der ganzen Episode stand noch ein bitteres Erlebnis. Als wir mit den Panzern in die Nähe der Bahnlinie kamen, lagen auf dem Gebiet, wo die Stalinorgeln eingeschlagen waren, Tote und Verwundete. Einer von ihnen rief uns zu: „Kameraden, bitte nehmt mich mit, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.“ Was sollten wir tun? Da sagte unser Oberleutnant: „Die hier liegen, haben uns heute Morgen im Stich gelassen und nicht danach gefragt, was aus uns würde, als die Russen angriffen. Ich gebe den dienstlichen Befehl: Keiner wird mitgenommen.“ Der uns angefleht hatte, war ein Unteroffizier. Er nahm seine Pistole und erschoss sich.
Hinter der Bahnlinie sahen wir in einer Entfernung von etwa 50 m mehrere T 34 stehen, parallel zu uns. Die Besatzungen standen um ihre Panzer und haben uns zum Glück nicht identifiziert, wahrscheinlich deshalb, weil es schon dunkel geworden war. Als wir zu unseren Fahrzeugen zurückkehrten, sahen wir zunächst niemanden. Jemand hatte gerufen: „Vorsicht! Da kommen feindliche Panzer mit aufgesessener Infanterie!“
Der Kampfauftrag mit der Maßgabe, die neue HKL müsse durch den Ort Mallwitz führen, wurde nicht erfüllt, sondern es wurden nur unnötige Opfer gebracht. Auch der Angriff der SS-Führungsschule war im russischen Feuer liegen geblieben.
Wir befanden uns nun im niederschlesischen Raum. Hier habe ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen, die ich beim besten Willen keinem festen Ort zuordnen kann. (Zur damaligen Zeit hätten keine Seiten mehr Gefangene gemacht, weil man nicht gewußt hätte, wohin mit ihnen. Da sei einmal ein junger Russe gekommen, der zu ihnen überlaufen wollte. Dem hätten sie zugerufen, daß er zurückgehen solle. Er solle weggehen. Sie hätten ihn nicht erschießen wollen. Er habe sich zurück zur eigenen Linie gemacht, sei aber auf dem Weg dorthin von den Russen erschossen worden.)
Da wir immer noch eine eingeschlossene Kampfgruppe waren, kamen wir durch Gegenden, wo man erste Erfahrungen mit Russen gemacht hatte. An einer Stelle, wo wir auch mit Flüchtlingen zusammentrafen, baten uns Mädchen und Frauen, wir sollten sie doch mitnehmen. Wir mussten dies ablehnen.
Im Raum Sprottau waren wir in einen Häuserkampf verwickelt. Dabei war ein Kamerad neben mir (bei Beschuss aus einem gegenüber liegenden Haus) durch Kopfschuss getötet worden. Als ich das meldete, fragte man mich, ob ich die Erkennungsmarke mitgebracht hätte. Da ich verneinte, bestand der Uffz darauf, dass ich nochmals zu dem Gefallenen hinrobben sollte, um das Versäumte nachzuholen. Mein erstes Empfinden war, dass er mich bewusst in den Tod schicken wollte. Aber Befehl ist Befehl! Befehlsverweigerung hatte immer negative Folgen. (Nachdem er die Erkennungsmarke abgegeben hätte, sei kein weiteres Aufheben davon gemacht worden. Der Unteroffizier habe nur den Tod des Kameraden ordnungsgemäß melden wollen.) Auch bei diesem unsinnigen Tun bin ich bewahrt geblieben.
Ein paar Tage später wurde ich zum Gefreiten befördert.
Wir kamen schliesslich in den Morgenstunden nach Sagan. Man schrieb den 13. Februar 1945. Ich wusste noch nicht, welch schicksalhafter Tag das werden würde. Wir zogen in ein Hotel ein, um dort nach Essen zu sehen. Einem dort in voller Montur herumlaufenden HJ-Jungen empfahl ich, die Uniform auszuziehen. Er schaute mich nicht freundlich an. Vielleicht war es sogar von mir unklug gewesen, eine solche Äusserung zu machen. Unsere Kompanie, ursprünglich mit 160 Mann in Ostpreußen gestartet, bestand noch aus 13 Mann. Oberfeldwebel Friedel Samse und ich waren noch die einzigen Flammenwerfer, die von 16 Mann bei der Aufstellung der Flammenwerfer auf SPW übrig geblieben waren.
Am Abend hiess es, wir sollten zu einem kleinen Ort Bergisdorf fahren und von dort aus erkunden, ob und welche feindlichen Truppenbewegungen auf einer Verbindungsstraße stattfinden würden. Die genaue Lage des Ortes ist aus der eingescannten Karte ersichtlich:
Wir bildeten einen Spähtrupp von 7 Mann. Spähtruppführer war Oberfeldwebel Samse. Es war schon nach Mitternacht, als wir loszogen. Ich merkte mir ungefähr die Wege, die wir gingen. Schließlich kamen wir auch an die etwa 6 m breite Straße, die durch ein Waldgebiet führte. Da wir in Reihe gehen mussten, brauchten wir einen sog. Nahsicherer, der etwa 10 m vor den anderen Teilnehmern des Trupps ging. Da ich vor wenigen Tagen zum Gefreiten befördert worden war, nahm ich freiwillig die Aufgabe an. Die Gefahr bestand, dass man evtl. als erster mit dem Gegner konfrontiert wurde und auch das erste Angriffsziel für den Feind bot. Ich war bewaffnet mit einer deutschen MP. Es war sehr dunkel, allein durch den fast fußhohen und unberührten Schnee blieb eine gewisse Sicht. Meine Nerven waren aufs Äußerste gespannt. Plötzlich meinte ich, hinter einer Tanne zur Rechten einen Russen zu sehen. Impulsiv gab ich ein paar Schüsse in die Richtung ab. Ob ich damit das nachfolgende Desaster ausgelöst habe? Oberfeldwebel Samse kam sofort und fragte nach. Bald darauf bemerkte ich, dass auf unserer Seite mehrere Gestalten auch in Reihe auf uns zukamen. Ich nahm wahr, dass Samse nervös wurde und nicht gleich wusste, wie zu reagieren war. Er rief laut in die nächtliche Stille: „Halt! Wer da?“ (Ärgerlicher Kommentar meines Vaters: „Als wenn er auf dem Kasernenhof wäre!“) Nun waren eindeutig russische Worte zu hören. Ich riss meine MP hoch und feuerte auf die Gruppe, die etwa 10 – 15 m entfernt war. Samse eröffnete ebenfalls das Feuer. Die Russen gingen zu Boden, ob getroffen oder als Schutz, ich weiß es nicht. Als wir unser Magazin leer geschossen hatten, drehten wir uns um, um in die Richtung zu verschwinden, aus der wir gekommen waren. Im gleichen Moment fingen die Russen an zu schiessen, und ich bekam 2 Schüsse in den linken Oberschenkel (- er spürte, wie er einen festen Schlag gegen seinen Oberschenkel erhielt -) und fiel zu Boden. Oberfeldwebel Samse war ein Kopf kleiner als ich. Da er neben mir gestanden hatte, mussten die Schüsse ihn höchstwahrscheinlich in den Unterleib getroffen haben. Er ging auch zu Boden und rührte sich nicht mehr. Plötzlich war es ganz still. Nach wenigen Minuten hörte man in nicht allzu großer Entfernung Schiesserei. Ob die restlichen 5 Mann unserer Gruppe auf Russen gestoßen waren? Später hörte ich, dass sie alle sofort kehrtgemacht hatten, als ich angefangen hatte zu schiessen.
Was nun? Tausend Gedanken schwirrten in meinem Kopf: Nun hat es dich doch erwischt. Bisher hatte es auch in den brenzligsten Fällen gut gegangen, andere waren betroffen, nur ich nicht. Kam jetzt der erwartete Genickschuss? Wir hatten keine Gefangenen gemacht, also hatten wir auch nicht mit Rücksichtnahme zu rechnen. Wir trugen ja immer noch am linken Arm den Ärmelstreifen mit dem Namen „Hermann Göring“. Sicherlich kam auch der Hilferuf: "O Gott, wenn du da bist, dann rette mich!" Ob er erhört würde, blieb noch offen.
Jede Minute dauerte eine Ewigkeit. Schließlich kam ein Russe heran. Sollte ich mich tot stellen? Ich konnte es nicht. Der nach aller Wahrscheinlichkeit fällige Schuss blieb aus, der Russe interessierte sich nur für mein Kochgeschirr. Als er weg war, fühlte ich nach meinem Oberschenkel und bemerkte, dass alles voll Blut war. Dann kam jemand angekrochen, der auch verwundet schien. Wir schauten uns wortlos an, jeder erkannte seinen Gegner. Er drehte sich weg, und ich kroch über die Straße in den gegenüberliegenden Wald hinein, meine MP ließ ich liegen. Im Wald legte ich mich auf den Rücken, öffnete die Hose, riss mir ein Stück vom Hemd ab und versuchte, mich zu verbinden. Plötzlich hörte ich nicht weit von mir eine Stimme. Ich fragte leise: Wer ist da? Es kamen russische Laute. Ich machte wieder alles dicht, legte mich auf den Bauch und drückte das Gesicht auf den Boden. (Kurz nach seiner Verwundung sei es ja noch dunkel gewesen. Nur durch den Schnee sei es ein wenig hell gewesen. Er habe sich mit Absicht auf den Bauch gelegt und das Gesicht in den Boden gedrückt, weil man im Dunkeln ein Gesicht erkennen konnte. Er wollte aber nicht gesehen werden können.)Alles blieb weiterhin still. Dann fing mein „Nachbar“ an zu schnarchen. O, wenn er fest schläft, dann kann ich mich entfernen, so dachte ich. Sobald ich mich aber bewegte, schien auch er hellwach. Dann hörte ich einen Lkw kommen. Es war das typische röhrende Geräusch der amerikanischen Militärwagen, das ich aber noch nicht kannte. Mein Gegenüber stand auf, ich presste meinen Körper und mein Gesicht fest in den Boden, und er ging haarscharf an mir vorbei zur Straße. Dort wurden Verwundete aufgeladen, nach mir wurde aber nicht gesucht.
Ich musste nun alles tun, um wieder zum Dorf zu gelangen, denn wir waren von Sagan aus nur dorthin gefahren, um den Spähtrupp zu machen. Vielleicht hatte man mich schon als gefallen oder vermisst abgeschrieben und war auf und davon. Das Zusammentreffen mit dem russischen Trupp war etwa gegen 2.30 Uhr. Nun hatte ich den Eindruck, dass es auf den Morgen zuging. Ich erhob mich, stellte zu meiner tiefen Befriedigung fest, dass kein Knochen zerschossen war und die Blutung sich in Grenzen hielt. Der Lkw war längst weg, niemand schien vor Ort zu sein. Ich ging also in Richtung Bergisdorf. Ich hatte bemerkt, dass wir an einer Kreuzung abgebogen waren, wo ein großer weißer Stein stand. Ich kam zu einem kleinen Stein und ging weiter. Dann hörte ich russische Laute, machte kehrt und bog an dem kleinen weißen Stein ein. Nach etwa 50 m stand ein Lkw quer auf der Straße, der wahrscheinlich auch zu den Russen gehörte. Nun war mir alles egal, ich schlug zum Glück die richtige Richtung zum Dorf ein und schlich durch den Wald. Als ich die ersten Häuser sah, kam ein Infanterist, der hinter einem Baum gestanden hatte, auf mich zu, setzte mir sein Gewehr auf die Brust und fragte: „Parole?“ Als ich nicht sofort antwortete, klimperte er am Abzug und sagte: „Schnell, schnell!“ Ich konnte nur sagen: „Ich weiß die Parole nicht mehr. Ich war diese Nacht mit dem Spähtrupp unterwegs und bin verwundet.“ „Du bist der Zweite, der zurückkommt“, war seine Auskunft.
Ich schlich unter zunehmenden Schmerzen die Dorfstraße entlang und fand meine Leute. Sie hörten meinen Bericht und sorgten dann dafür, dass ich zum Sanitäter kam. Hier wurde ich gegen Tetanus geimpft und verbunden. Es schien ein glatter Durchschuss und ein Streifschuss zu sein, Hauptvene oder Arterie waren nicht getroffen worden, sonst wäre ich wahrscheinlich verblutet. Vom Sanitäter aus brachte man mich zum Hauptverbandsplatz in einen anderen Ort. “Ich hätte großes Glück, noch dorthin zu kommen, da im Augenblick der Kessel um Sagan nach dieser Seite hin offen sei“, so wurde mir gesagt. Ich kam in eine Schule und lag mit 3 Schwerverwundeten in einem großen Zimmer. Es dauerte gar nicht lange, da kam ein Sanitäter und stellte neben jeden von uns eine große Schale mit Gebäck. Ich dachte noch, hier lässt es sich gut sein und brachte das auch zum Ausdruck. Antwort: „Kamerad, der Russe rückt näher, wir können euch nicht mehr mitnehmen. Wenn Du aufstehen kannst, dann versuche, 2 Kameraden zu finden, die Dich in die Mitte nehmen. Es steht auf dem Bahnhof noch ein Zug unter Dampf, der bald abfährt.“ Hätte er das nicht schon früher sagen können? Ich fand zwei Soldaten, die mich unterstützten, (- Einer sei ein Österreicher namens Krautwascherl gewesen. - ) kam noch in den Zug, der sich sehr bald in Bewegung setzte in Richtung Reich. Er sollte bis nach Bayern durchgeführt werden. Um der zunehmenden Schmerzen wegen fuhr ich mit bis (zum nächsten Halt in) Oschatz in Sachsen, wo ich ein Lazarett aufsuchte. Wie sich viele Jahre später herausstellte, hatte das MP-Geschoss doch meinen Knochen am Rande getroffen, ihn aber glücklicherweise nicht zerschmettert. (Ich erinnere mich noch daran, das ich als Grundschulkind das Knochenstück sah, dass aus der Narbe meines Vaters am Oberschenkel herausgeeitert war und das er uns allen zeigte.)
Ich hatte die Erfahrung gemacht, die der Psalmist in Psalm 50,15 so ausdrückt: (1) Rufe mich an in der Not, (2) so will ich dich erretten, und (3) du sollst mich preisen. Die Punkte 1+2 waren erfüllt worden, doch der Punkt 3 stand noch aus. Als ich im Lazarett war, sprach ich nur vom großen Glück, das mir widerfahren war.
Erst im November 1946 öffnete Gott mir die Augen für Römer 2,4: Verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut, ohne zu beachten, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?
Kommentare