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Das Wandern war der Rosa Lust


 

Als meine Mutter mit 63 Jahren in Rente ging, wurde sie kurze Zeit später Mitglied im Kölner Eifelverein und begann mit wöchentlichen Wanderungen in der Eifel und im Bergischen Land. Dabei lernte sie die 13 Jahre ältere Wanderführerin Erna Schreiber kennen. Von ihr berichtete sie häufig und war von deren Lebendigkeit angetan. In der Hinsicht war diese bestimmt ein heimliches Vorbild für sie. Es verging kaum eine Woche, wo sie nicht unterwegs war. Erst als sich ihre Herzklappen immer mehr als unzureichend herausstellten, verlangsamte sie anfangs das Tempo bei Steigungen und stellte die Wanderungen mit der Gruppe schließlich ganz ein. Aber sie nutzte ihre Ortskenntnisse für manche Ausflüge mit Freunden und Bekannten im geruhsameren Tempo. 

Als sie bereits im dementen Zustand im Krankenhaus Holweide lag, sah sie von ihrem Krankenzimmer in einem der höheren Stockwerke aus die Ausläufer des Bergischen Landes im klaren Sonnenschein liegen. Da kamen ihr die Erinnerungen an ihre Wanderungen dort hoch, so dass sie spontan ihre Schuhe anzog und das Krankenhaus Richtung Osten verließ. 

Mein Vater erhielt einen Anruf aus dem Krankenhaus: „Ihre Frau ist weg! Haben Sie ein Foto von ihr als Fahndungshilfe für die Polizei?“ Helle Aufregung bei Heinz!

Und wie ging es weiter? Meine Mutter marschierte in gemächlichem Tempo los, immer das Bergische Land vor Augen. Nach einer Weile kamen ihr Zweifel, ob ihre Wanderung wirklich eine gute Idee war. Schließlich war sie sich sicher, dass sie sich verlaufen hatte. Also betete sie zu Gott: „Herr, hilf mir, dass ich wieder heil zurückkomme!“ Da kam ihr ein junger Mann entgegen. Sie sprach ihn an und sagte ihm, dass sie sich verlaufen hätte und ob er ihr helfen könnte, wieder zurückzukommen. Er erwies sich als freundlich und fragte, wo sie denn herkäme. Da konnte sie nur bedauernd sagen, dass sie das selber nicht mehr wüsste. Er fragte sie, ob ihr etwas einfallen würde, was in der Nähe gewesen sei. Dazu meinte sie, dass sie in einem Krankenhaus gewesen sei und dass sie auf dem Weg von dort einmal viele Kinder gesehen hätte. Daraufhin meinte er, dass sie dann wohl aus dem Holweider Krankenhaus käme. Er helfe ihr zurück, gehe aber in eine andere Richtung. Also sprach er einen anderen Fußgänger an, der in diese Richtung ging. Meine Mutter hätte sich verlaufen. Ob dieser sie mitnehmen könne? Der andere Mann ging auch nur einen Teil der Strecke. Aber er überreichte meine Mutter dann an den nächsten Fußgänger. So wurde sie wie ein Staffelstab weitergereicht, ehe sie schließlich guter Dinge und mit großer Dankbarkeit gegenüber der Fürsorge Gottes im Krankenhaus wieder ankam. Sie äußerte sich teils verwundert, teils stolz über ihr letztes Abenteuer als Wanderin. Die Fahndung konnte abgeblasen werden. Mein Vater konnte sich auch wieder beruhigen.

So endete ihre Karriere als begeisterte Wanderin. Als ich heute die Todesanzeige von Erna Schreiber aus dem Jahre 2006 in der Todesanzeigensammlung meines Vaters fand und diese für die Sammlung der Freunde und Bekannten abscannte, kam mir der Gedanke für diesen Post. 

Herzliche Grüße

Dr. Friedhelm Röder


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